Verzauberte Zombies
Hier geht es weder um Dungeons+Dragons, noch um Magic the Gathering. Die verzauberten Zombies sind wir.
Wir sind zu einem guten Teil inzwischen zu Spielbällen uns fremder Mächte geworden.
B.F. Skinner, US-amerikanischer Psychologe und einer der Gründer des Behaviorismus, brachte in Experimenten durch gezieltes Hervorrufen von Bedürfnissen (Hunger) Tiere zum Ausüben teils abstruser Verhaltensweisen, um das Bedürfnis befriedigt zu bekommen.
Gehen wir in die Vorstellung eines Magiers, wollen wir unterhalten werden. Wir nehmen dabei in Kauf, dass uns der Magier manipuliert. Das ist nämlich Zauberei: die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit der Zuschauer, die Manipulation des Publikums an Stellen, wo das Publikum noch nicht einmal weiß, dass es manipulierbar ist.
In der Dystopieschmiede des Silicon Valley haben sich viele der objektiv brilliantesten Hirne der Menschheit unter dem Dach verschiedener Firmen (Google, Facebook und so weiter) zusammengefunden. Viele von ihnen, insbesondere in der Gründerzeit, waren und sind erklärte Fans der Skinnerschen Psychologie. Der Mensch kann, das wussten sie und in diese Kerbe haben sie geschlagen, manipuliert werden - und zwar ohne, dass er es weiß.
Viele Websites und Apps wurden gezielt so designt, dass der Konsument möglichst viel Zeit mit ihnen verbringt (das wird in den Fachkreisen "engagement" genannt).
Nur als ein Beispiel von vielen sei das "infinite scrolling" genannt. Also das automatische Laden weiterer Inhalte beim Scrollen nach unten, beispielsweise auf der Timeline von Facebook. In früheren Internetzeiten wurde (wie hier im Forum) unten auf der Seite umgeblättert. Das stellt einen kurzen Bruch im engagement dar, das hypnotische Weiterschauen kann durch eine bewusste Entscheidung unterbrochen werden (nein, ich blättere jetzt nicht mehr um). Es wird geschätzt, dass das Einführen von infinite scrolling dazu geführt hat, dass TÄGLICH die Zeitspanne von 200.000 Menschenleben MEHR mit dem Scrolling durch diverse Inhalte verbracht wird.
Der Magier kann uns verzaubern, weil er uns gegenüber einen Wissensvorsprung hat (über unsere Psyche, über unsere Aufmerksamkeit), den wir theoretisch zwar aufholen können, aber meist nicht wollen - wir wollen ja unterhalten werden. Eignen wir uns das Wissen über die Funktionsweise von Zaubertricks doch an, verlieren sie eben ihren Zauber. Sie sind "debunked".
Der Wissensvorsprung von App- und sonstigen Technikdesignern gegenüber uns ist um ein vielfaches Höher. Die Hürden, allein die theoretischen Grundlagen der Technologien zu verstehen, sind immens und übersteigen den Intellekt vieler. Wer kann schon genau erklären was ein Algorithmus nun genau macht - ganz abgesehen davon, was der spezifische der App xy tut. Ein Debunking ist ungleich schwerer, durch die Geheimhaltung von Code und Algorithmus manchmal sogar unmöglich.
Darüber hinaus ist es notwendig, sich durch zahlreiche teils gesellschaftlich fest etablierte Schichten von Gewohnheit, Konsens und Ignoranz zu wühlen, um überhaupt zum Kern des Problems hervorzudringen. Es bleibt im Alltag zumeist komplett verborgen, dass wir nach Strich und Faden manipuliert werden, dass unsere Aufmerksamkeit gezielt gelenkt wird, und dass wir quasi alle längst zu Datensätzen gemacht wurden, die hemmungslos von vielen darauf spezialisierten Unternehmen gehandelt werden.
So hat sich eine gut getarnte, extrem abstrakte Hintergrundebene unter unser Leben gelegt, die uns zu verzauberten Zombies macht.
Wer zum Magier geht, um sich unterhalten zu lassen, darf sich hinterher nicht beschweren, dass er verzaubert wurde.