Mein Alkoholproblem - Reflektionen und Tagebuch
Seit meiner Jugend habe ich einen problematischen Umgang mit Alkohol. Hierbei spielt meines Wissens auch eine genetische Komponente eine Rolle, jedoch sind es natürlich letztlich meine eigenen Entscheidungen, die ich treffe. Mein Vater ist Alkoholiker, sein Vater war es auch (er starb, bevor ich geboren wurde), die Schwester meines Vaters war auch starke Alkoholikerin. Diese Seite der Familie hat also anscheinend eine gewisse Prädisposition.
Bin ich selbst ein Alkoholiker? Je nach Definition kann ich das bejahen oder verneinen. Seit meiner Jugend hat Alkohol immer eine große Rolle bei der Freizeitgestaltung gespielt. Maßvolles Trinken fiel mir aber immer schwer, wenn es läuft, dann läufts. Ich habe nie täglich getrunken, aber meist ziemlich regelmäßig und oft auch sehr viel. In meinem Leben gab es dann auch Phasen, die mehrere Jahre gedauert haben, in denen ich auf Alkohol komplett verzichtet habe.
Jetzt gerade ist der Punkt einmal mehr erreicht, wo ich die Reißleine ziehen muss und will, und ganz auf Alkohol verzichten werde. Nach meiner Thrombose Anfang des Jahres hatte ich mir das bereits halbherzig vorgenommen und bin krachend gescheitert. Hier in Schweden ist jetzt der Punkt erreicht gewesen, wo ich gemerkt habe, dass mir die ohnehin fragile Kontrolle entgleitet. Wenn ich mir gedacht habe "heute Abend trinkst du zwei Bier" wurden es sechs und ein bisschen Schnaps. Einfach mal so nebenbei. Ich schäme mich ein bisschen mir selbst gegenüber, und davon abgesehen ist es natürlich ungesund und der Tag nach so was ist unbrauchbar.
Der restliche Alkohol, der noch hier war, ist jetzt bei meiner Frau in ihren Privaträumlichkeiten und ich möchte hier über Alkohol und meinen Umgang mit ihm reflektieren. Außerdem möchte ich dem Forum gegenüber Rechenschaft ablegen und täglich ein bisschen was schreiben, besonders in den ersten Tagen könnte mir das sehr helfen.
Gerne könnt ihr eigene Anstöße geben oder Fragen stellen.
Kommentare
Welche Funktion hat Alkohol für dich?
Das ist eine Frage, die du dir stellen könntest. Ist nur als Anregung gemeint, muss ja nicht öffentlich sein. Meiner Erfahrung nach kann das Aufarbeiten von Süchten verdammt tief in den metaphorischen Abgrund der eigenen Psyche führen.
Zum Unterfangen selbst habe ich auch noch eine Frage, nämlich was dein Ziel ist? Ich werde deine Reflektionen verfolgen und bin gespannt, was da noch kommt. Hatte ein ähnliches Thema selbst vor einigen Jahren und habe inzwischen mehr oder weniger damit Frieden geschlossen, aber das Interesse ist immernoch da.
Liebe Grüße nach Schweden!
Was heißt "Reißleine ziehen muss"? Was sagen Frau und andere dazu?
Die Fragen sind dermaßen mordsprivat, dass sie mir schon beim stellen wehtun - habe dich erstmal so verstanden, dass sowas gewünscht ist, ansonsten musst du die Grenzen aufzeigen...
Ich glaube nicht, dass ich mich zu so einem Post hier trauen würde.
Hut ab. Mein Vater war Akoholiker und weitgehend "functioning", wenngleich das unsere Familie sehr belastet hat. Daher kenne ich das aus nächster Nähe, wie schwer der Umgang damit ist.
Völlig in Ordnung.
Mit "Reißleine ziehen" meinte ich hier, dass ich für lange komplett auf Alkohol verzichten will, anstatt zu versuchen/ mir einzureden, dass ein reflektierter maßvoller Konsum für mich machbar ist oder sinnvoller ist.
Meine Frau unterstützt mich bei allem, was ich will, bedingungslos. Ansonsten hat da kaum jemand mitzureden. Dieses Problem von mir ist nach außen hin ja nicht wirklich sichtbar.
Ja, das weiß ich wohl. Es ist ja nicht so, dass ich über diesen Themenkomplex zum ersten Mal nachdenke. Natürlich sind das tiefgehende Themen, die mir glaube ich auch zum Großteil bewusst sind.
Kurz gesagt hat für mich Alkohol, meine ich, vor allem zwei Funktionen: Dämpfung und Lockerung.
Mein Ziel jetzt gerade ist, für einen möglichst langen Zeitraum überhaupt keinen Alkohol zu trinken.
@Room101 danke für deine Offenheit und dein Vertrauen an uns als Mitglieder dieses Forums
.
Hubermann hatte das Thema Sucht auch mal behandelt.
Find ich stark, dass du damit hier raus kommst. Bin gespannt, was du zu erzählen hast.
Bei mir ist das Thema Nikotin. Anfang des Jahres habe ich damit aufgehört und ich fiel in ein depressives Loch. War sogar krank geschrieben, weil es wirklich sehr schlimm war. Und in der Zeit als ich meine Ruhe hatte ist mir einfach bewusst geworden, das Nikotin für mich mehr als "nur" ein Suchtstoff ist. Es hat mich auf eine Art definiert, es war mein Strohhalm.
Der Weg da raus war für mich ein ganz tief greifende Erfahrung über mich selbst. Ich wünsche dir, dass du ähnliche Erfahrungen machst. Es war sehr wertvoll für mich.
Auf einem Spielplatz wo in der Senkung mehrere Trampoline waren, habe ich einen 11 jährigen getroffen der meterweit über diese Trampoline sprang. Im Gespräch fiel auf, dass ihm ein Schneidezahn fehlte. Er erzählte den habe er sich beim Trampolin springen ausgeschlagen weil er mit dem Gesicht voran auf dem Stein aufkam. Aber er springt trotzdem weiter.
Ich habe ihn im Gespräch mit meiner Freundin als Mondjungen bezeichnet. Denn das müssen die Ausmaße dieser Eier sein.
So etwas intimes, wie dein Alkoholproblem, hier zu teilen, hat mindestens den selben Respekt verdient !
Ich war erst verwirrt und musste dann lachen - danke!
08.12.21
Heute Tag 2 nüchtern.
Ich fühle mich etwas angeschlagen, wie bei einer aufkommenden Erkältung, aber es wird nichts werden, denke ich. Das hat auch nichts mit dem nüchtern sein zu tun, ich habe immer mal wieder mehrere Tage lang nichts getrunken. Allerdings ist es vielleicht mit dadurch begünstigt, dass ich gerade psychisch etwas herunterfahre. Es gibt eigentlich kaum noch Termine in diesem Jahr, allerdings einige To Dos.
In Schweden wird Alkohol nur in staatlichen Alkoholgeschäften verkauft (die heißen Systembolaget). Im Supermarkt gibt es nur light-Bier. Außerdem ist Alkohol im privaten Kauf etwa doppelt so teuer wie in Deutschland, im Laden wie im Restaurant. Also etwa 8€ für 0,5l Bier im Restaurant. Schlägt also ganz schön zu Buche.
Es gibt hier wohl mehr Leute als in Deutschland, die komplett keinen Alkohol trinken. Aber ich glaube die, die trinken, trinken mehr.
Freitags ist Run auf den Systembolaget. Wochenende, da wird sich geplant zugeschüttet, und es ist erstaunlich, mit welchen Mengen Alkohol die Leute da teilweise herausmarschieren.
Jedenfalls werde ich einiges an Geld nicht ausgeben, wenn ich nichts mehr trinke.
Interessant könnte für dich noch sein, den Bogen zur Hochsensibilität zu schlagen.
Ich komme wie Sascha und du aus einer Alkoholiker-Familie. In meiner ist/war es üblich für die Männer, ihre Emotionen wegzutrinken. Das gilt in stärkerem Maße für die, die „mehr“ fühlen.
Ich bin ein Suchtmensch, schon immer gewesen. Mein Weg da raus hat mich 3 Jahre gekostet. Wie Pinocio so schön gesagt hat, es war eine tiefgründige Erfahrung. Ehrlich gesagt habe ich mich durch diesen Prozess erst wirklich selbst verstanden.
Ich kann mich meinen Voredner nur anschließen! Ich finde es auch sehr stark von dir, dass du dein Thema hier so offenlegst.
Ich frage mich aber auch öfter ab wann Alkoholkonsum problematisch wird. Aktuell trinke ich nie viel Alkohol, habe aber in den letzten 3-4 Wochen recht regelmäßig abends mal 1 Bier, einen Schnaps, ein Glas Whiskey oder 1-2 Gläser Wein getrunken. Das habe ich getan, weil es mir gut schmeckt, aber auch weil es eine kleine Auszeit ist und ich dadurch entspannter werde.
Ich bin sehr gespannt was du hier schreibst und wie du dein Vorhaben umsetzt!
@Room101
dachte schon es kommt in den falschen Hals.
Freut mich
Ich bin gerade am reduzieren meines Kaffee Konsums. Dabei habe ich ein Buch woraus ich zur Unterstützung was Ernährungs mäßig ist. Bislang hab ich ganz guten Erfolg mit den Inhalten. Der hat auch was zu Alkoholproblemen.
Interesse es auszuprobieren? Würde mich interessieren, ob es funktioniert.
Danke, aber ich denke, das brauche ich nicht. Eigentlich ist erst einmal nicht die Frage, OB ich es jetzt schaffe, keinen Alkohol mehr zu trinken. Sondern eher, ob ich es wirklich dauerhaft beibehalten kann (also in Jahren gedacht).
Danke! Je nach Definition ist man ziemlich schnell Alkoholiker, wenn man (fast) täglich ein bisschen was trinkt. Das grundsätzliche Problem ist hier die Toleranzentwicklung, die bei Alkohol einfach immer stattfindet. Du brauchst mit der Zeit mehr für den selben Effekt (bei dir: entspannter werden).
Ja, Hochsensibilität, was auch immer das nun sei, ist da ein Thema. Bei mir zumindest irgendwie. Allerdings nicht so, wie du es geschrieben hast, dass ich meine Emotionen wegtrinke. Ich bin sehr begeisterungsfähig und emotional, wenn ich betrunken bin.
Vielleicht trifft es das eher, dass ich versuche, negativ gefärbte Gedanken mit Alkohol durch positiv gefärbte zu ersetzen.
Ja. Nikotin ist ja rein biochemisch gesehen auch eine sehr starke Droge.
Im Vergleich finde ich Alkohol aber - nicht individuell, aber gesamtgesellschaftlich - tückischer. Rauchen wird eigentlich nicht mehr verharmlost. Und es hat hauptsächlich Gefahren für den, der es tut. Es wird wohl kaum jemand jemanden mit dem Auto totfahren, weil er geraucht hat. Oder sich prügeln, weil er durch die Zigarette zu enthemmt wurde. Alkohol ist auf der einen Seite gesellschaftlich vollumfänglich akzeptiert, manchmal sogar glorifiziert. Auf der anderen Seite aber auf sehr vielen Ebenen schädlich.
Ich selber habe auch lange geraucht. Erste Zigarette mit 13 oder 14 probiert. Dann später geraucht beim Trinken. Dann immer regelmäßiger. Nie eine Schachtel am Tag, beim Trinken mehr als einfach so, manchmal tagelang nicht. Komplett habe ich damit aufgehört, als ich vor etwa 8 Jahren meine Frau kennen gelernt habe. Damals habe ich 0-10 Zigaretten am Tag geraucht und es fiel mir wirklich überhaupt nicht schwer, körperlich oder psychisch, das sein zu lassen. Ich schätze mal, dass das auch individuell sehr unterschiedlich sein kann, wie gut man mit einer Droge klarkommt.
Oder vlt. Hemmungen wegtrinken die dich normalerweise davon abhalten begeisterungsfähig und emotional zu reagieren?
Weil es thematisch passt eine interessante Doku zum Thema Alkohol. Ist ursprünglich von Arte, aber leider nicht mehr in der Mediathek verfügbar.

In der Doku wird mit diversen Beteiligten über das Thema Alkohol gesprochen. Darin kommen Alkoholproduzenten, Ärzte (David Nutt), Psychologen, Konsumenten und Ex-Konsumenten zur Sprache. Es werden auch Ansätze gezeigt, wie Island präventiv mit dem Thema umgeht (regelmäßiger Alkoholkonsum bei 15-jährigen wurde seit 1998 von 42% auf 5%reduziert (2020)) .
Das zumindest schon eher. Wobei es auch das nicht ganz trifft. Ich habe immer mehr für mich selbst und mein Gefühl getrunken, als deshalb, weil ich auf eine bestimmte Art und Weise reagieren wollte.
Ja sehe ich auch so.
Sucht ist erstmal Sucht, egal was für eine. Es ist denke ich wichtig zu wissen warum einen etwas einen süchtig macht.
Alkohol hat bei mir kein Suchtpotential, auch wenn ich früher schon auch viel und oft getrunken habe. Und auch heute trinke ich gerne ein Bier oder auch mal mehr, es hat seinen ganz eigenen Rausch, den ich auch mag, aber den ich nicht immer haben wollte.
Da ist Nikotin ganz anders aber nur für mich.
Mir ging es gar nicht darum zu sagen, dass etwas mehr oder weniger schlimm ist oder einfacher, sondern nur darum, dass es sicherlich sehr wichtig ist seinen ganz individuelles Suchtproblem anzugehen und zwar auch über die Ebene was der Stoff ganz speziell einem gibt, dass er einen so beherrschen kann.
Die Sucht nicht nur biochemisch, körperlich auflösen, sondern auch geistig.
Ja, sehe ich auch so, bis auf "Sucht ist erstmal Sucht, egal was für eine". Durch die objektiv biochemisch unterschiedliche Wirkung verschiedener Substanzen gibt es schon Drogen, die mehr oder weniger Suchtpotential haben. Ob dieses Potential dann aber sich beim Einzelnen zu einer Sucht ausprägt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Eine Wertung, was nun schlimmer oder schwerer bzw leichter und weniger schlimm ist, wollte ich damit nicht implizieren.
Meine Arbeitshypothese, was Sucht ist:
Damit ist imho der Wesenskern von Sucht abgedeckt und alles, was nicht zum Kern der Sucht gehört, weggelassen.
@Sascha Die Definition klingt sehr zutreffend. Allerdings sind die Formulierungen nicht gerade griffig.
Ich finde Paul Chek drückt es immer ganz gut aus (ich paraphrasiere): Eine Sucht ist ein wiederholtes Verhalten, dass nicht zum gewünschten Ergebnis führt.
Ich freu mich über die rege Aktivität hier!
09.12.21
Tag 3 nüchtern.
Heute früh ging es mir besser, Joggen ging auch, fühlte sich aber klar schlechter an, als normal. Im Laufe des Nachmittags/ Abends habe ich mich dann wieder wie gestern, also leicht angeschlagen, gefühlt. Darum werde ich es langsam angehen lassen. Für morgen plane ich nur ein Lockeres Workout, Spazieren, und wenn ich mich gut fühle zusätzlich Sauna.
Ist auch so "gewollt". Vergleich den Weise mal mit der Definition von Macht:
Es ist im Grunde die Weise wie Recht formuliert wird. Eine rhetorisch hübschere Variante hat ihre Schwächen. Auch was Paul Chek gesagt hat, hat eben keine guten Ränder und trifft den Kern nicht. Derjenige, der seine Arbeit hasst, weil er im Gulag ist, steht auch wiederholt jeden morgen auf, aber nach Steinekloppen ist er wahrscheinlich nicht süchtig.
Zum Thema Nikotin fällt mir noch ein: hier in Schweden ist ja Snus sehr weit verbreitet. Das sind so Päckchen mit Hauptsächlich Tabak (und Aroma teilweise, was da ansonsten drin ist, weiß ich nicht), die man sich hinter die Oberlippe klemmt und die dann aussiffen. Da ist wohl ziemlich viel Nikotin enthalten und ich meine, mal gelesen zu haben, dass das Suchtpotential ziemlich hoch ist.
"Lustigerweise" habe ich Snus zum ersten Mal kennen gelernt, als ich mit 14 (also vor fast 25 Jahren) in den bayerischen Bergen auf nem Sportinternat war. Da war ja nicht, so wie heute, immer alles überall verfügbar, und die internationalen Sportler haben dann immer Snus aus Skandinavien mitgebracht und teilweise regen Handel damit betrieben. Damals war das noch nicht in fertigen Päckchen, sondern als lose Masse in der Dose, und es gab so eine Art Plastik-Applikator, mit dem man das dann hinter seine Oberlippe stopfen musste. Wenn mans nicht konnte, hatte man den ganzen Siff im Maul (ich habs einmal probiert - nie wieder).
Naja, das zum Thema Snus.
Ich habe gelesen, dass der Vitamin-C Verbrauch durch das Rauchen stark ansteigt. Wenn das an das Nikotin gekoppelt ist, wäre es bei Snus nochmal deutlich höher. Wollte bei Zeiten dazu mal ein paar Studien raussuchen, da meine Geschwister beide Rauchen und ich dazu einfach mehr Bescheid wissen möchte.
Okay, für Rechsprechung oder wissenschaftliche Abhandlungen sind sperrige Formulierungen natürlich akzeptabel. Aber ob das für den alltäglichen Gebrauch gilt, bin ich skeptisch. Außerdem: Das gewünschte Ergebnis des Steinekloppens besteht darin, nicht von den Aufsehern schikaniert zu werden. Also keine Sucht.
10.12.21
Tag 4 nüchtern. Ich denke zwischendurch öfter an Alkohol. Jetzt, so drei oder vier Tage nach einem ungeplanten Rausch, wäre eigentlich der Zeitpunkt, wo ich wieder etwas trinke. Heute nicht.
Beim letzten Mal, als ich dem Alkohol für mehrere Jahre abgeschworen habe, das war vor etwa 7 Jahren glaube ich, habe ich einige soziale Kontakte verloren. Zum einen lag das daran, dass ich "Freunde" hatte, mit denen ich eigentlich immer viel getrunken habe, wenn ich sie gesehen hab. Bei einem kann ich mich noch erinnern, dass ich noch ein, zwei Mal was mit ihm gemacht habe, ohne dass ich selber etwas getrunken habe, und mir ist klar geworden, dass eigentlich der Alkohol der eigentliche verbindende Faktor war. Nüchtern konnte ich mit ihm absolut nichts anfangen, das beruhte wohl auch auf Gegenseitigkeit. Seitdem nie wieder Kontakt zu ihm gehabt. So etwas ist natürlich irgendwie schade. Zum anderen lag es daran, dass ich soziale Situationen, also Partys, Treffen auswärts mit vielen Personen usw, bei denen ich normalerweise viel getrunken hätte, aktiv gemieden habe. Dadurch habe ich mich in manchen Situationen ins Abseits befördert, was mich in den meisten Fällen aber gar nicht wirklich gestört hat.
Unser nächster Nachbar hier in Schweden ist ein gebürtiger Finne, lebt aber eigentlich sein ganzes Leben in Schweden und ist 60 Jahre alt.
Irgendwann, nachdem man sich lange gar nicht kennen gelernt hatte, stand er an einem Samstag gegen 11 riechbar betrunken vor der Tür, wir haben uns nett unterhalten, er hatte Bier dabei, was ich nicht getrunken habe. Dann habe ich für ihn in seinem Haus noch ein Computerproblem gelöst, und dann letztlich auch etwas mit ihm getrunken. Worauf ich hinaus will: ich habe ihn dann noch einige Male in seinem Haus besucht. Seine Frau ist meist nur am Wochenende da, und wann immer sie nicht da war und er von der Arbeit zu Hause ist, ist er betrunken. Überall steht Alkohol im Haus herum. Er ist wirklich ein netter Typ, aber ich könnte mir vorstellen, dass auch er jemand ist, mit dem man (also ich) nüchtern nicht wirklich gut klarkommen würde. Ich finde solche Situationen ein wenig bedrückend.
Ich gehe davon aus, dass solche Menschen sich mit ihrem eigenen Alkoholproblem konfrontiert sehen, wenn ich ihnen gegenüber standhaft nein sage, etwas trinken zu wollen, und entsprechend empfindlich reagieren. Bei besagtem Freund von vor ein paar Jahren war das ganz sicher so, das wusste er auch selber.
Das lässt sich auch auf viele andere Süchte übertragen. Für mich besonders auffällig war es mit dem Rauchen, Zocken und beim Essen bezüglich Zucker/Kohlenhydrate. Als ich mit dem Rauchen(13 Jahre) aufgehört habe, sind zwar keine Bekanntschaften auseinander gebrochen, aber der Kontakt ist doch deutlich zurückgegangen. Da ich mit dem Zocken immer noch nicht komplett (2-3h pro Woche) aufgehört habe (neben dem Zucker wohl meine letzte verbliebene Sucht), merke ich immer wieder, dass viele Bekanntschaften auseinander brechen, wenn ich sie nicht z.B. durch die ein oder andere Runde CS:GO oder Escape from Tarkov pflege. Das macht mich schon sehr traurig, aber macht auch deutlich wieviele soziale Verbindungen auf tönernen Füßen stehen.
Besonders unschön finde ich es bei Süßkram und auch Alkohol, wenn es darum geht immer wieder nein zu sagen. Wenn sich das dann auch noch auf die Familie ausstrahlt wird es besonders schwierig für mich und ich habe schon oft nachgegeben.
Auch wenn es jetzt ganz offensichtlich wirkt: Ich finde deine Beobachtung, dass man durch sein eigenes suchbekämpfendes Verhalten anderen einen Spiegel vorhält sehr treffend und nehme mir vor das in kritischen Situation öfter gedanklich vorzuhalten: "Nicht ich bin das Problem, sondern die Süchte meiner Mitmenschen."
Ansonsten: Cool, dass du hier schreibst. Ich beobachte eifrig weiter.