[project log] Johannes' Lesenotizen

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Kommentare

  • bearbeitet Dezember 2020

    Ferriss, T. (2016). Tools of Titans. The Tactics, Routines, and Habits of Billionaires, Icons and World-Class Performers. London: Penguin Random House.

    @TylerDurden fragte: Wie findest du das Buch Tools of Titans bzw. hast du das schonmal gelesen?

    Ich antwortete: Tools of Titans ist eine anekdotische und bruchstückhafte Zusammenstellung bzw. ein Destillat der Tim Ferriss Podcasts. Ich habs Anfang 2017 gelesen und seit dem auch ziemlich oft Dinge nachgeschlagen. Was genau interessiert dich denn?

    @TylerDurden daraufhin: Ob [Tools of Titans] sich als Nachschlagewerk lohnt um einen groben Überblick über Konzepte zu bekommen.

    Lieber @TylerDurden: Ich nehme das als Anlass, eine kleine Lesenotiz zu schreiben. Dann bekommst du einen Eindruck.(1) Dabei konzentriere ich mich auf die Konzepte und Phrasen, die mir persönlich nachhaltig hängen geblieben sind und kommentiere ggf. Die Informationsdichte des Buches ist sehr hoch. Aber es bleibt eben bei Bruchstücken. Viel self help shit, Affirmationen und so. Aber dazwischen auch ab und an etwas wertvolles. Im Endeffekt sind die Tools of Titans die Lesenotizen vom Tim Ferriss. Da kann jeder dann schauen, für was er sich interessiert und dann weiter forschen.

    Nach Lektüre dieses Buches habe ich einige recht fruchtbare Rescherschen unternommen. Ich habe beispielsweise begonnen, mich mit Jocko Willink auseinander zu setzen. Mit Sebastian Junger. Ich habe Der zweite Weltkrieg von Anthony Beevor gelesen. Und Dune von Frank Herbert. Eine Übung für die Hüftabduktoren, über die ich in Tools of Titans gestolpert bin, benutze ich immernoch. Manchmal erlaube ich mir sogar, 45min statt 43min für den Heimweg zu brauchen. Und nach dem Ausdauertraining lege ich mich oft auf den Boden und versuche einzuschlafen.

    Amelia Boone ist eine der höchstdekorierte Hindernisläuferinnen und Anwältin bei Apple.

    No one owes you anything [...] I'm not the strongest. I'm not the fastest. But I'm really good at suffering.(p.2)

    Selbsterkenntnis ist zentral, um zu bekommen, was man will. Es ist vielleicht erstmal nicht sexy, gut im Leiden zu sein. Aber damit geht eine gewisse Zähigkeit einher. Und am Ende steht man noch, wenn alle anderen gefallen sind, auf die vorher alle gewettet hätten, weil sie muskulöser waren, oder schlauer oder schöner...

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    Coach Christopher Sommer ist Turnlehrer und macht Kohle mit Onlinecoaching. [Edit! Danke für den Hinweis @Joseph_Bartz]

    If you want to be a stud later, you have to be a pud now. (p.10)

    Wenn du ein Athlet sein willst, musst du an deinen Schwächen arbeiten. Macht kein Bock. Aber das ist egal.

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    Peter Attia, Arzt und ehemaliger ultra-ausdauer Sportler.

    Modern man is weakest and most unstable in the lateral plane. Having a very strong gluteus medius, tensor fasciae latae, and vastus medialis is essential for complete knee-hip alignment and longevity of performance. (p.61)

    Spannende Beobachtungen: 1. Der moderne Mensch ist instabil. -> Stabi Training... wieder nicht sexy. So ein Mist aber auch! :trollface: 2. Diese Instabilität bezieht sich vor allem auf die laterale Ebene. Kann ich aus Erfahrung bestätigen. Wie viele junge Menschen mit Anfängen eines Trendelenburg sieht man? 3. M. vastus medialis und die kleinen Glutaen sind echt oft schwach (Außer bei @joseph_bartz, der Mann mit dem wunderschönsten vastus medialis :) )

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    Joe de Sena: Gründer des Death Race und des Spartan Race (Hindernisläufe)

    You should sweat like you're being chased by the police daily (p. 40)

    Ganz gute Heuristik.

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    Pavel Tsatsouline brachte die Kettlebell in den Westen.

    When in doubt, train your grip and your core. Strengthening your midsection and your grip will automatically increase your strength in any lift. (p.89)

    Spannende These. Weshalb sind Landwirte so stark? Rumpfrotation und viel Farmers Walk. Umgekehrt: Wer kein Rumpf und kein Grip hat, ist schwach, egal wie viel er mit der SZ-Stange curlt. Rumpf ist Trumpf.

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    Kelly Starrett ist der Autor von Becoming A Supple Leopard, Crossfitter und anerkannter Mobility Guru.
    Außerdem ist er Fan des Buches Dune. Auch @Sascha hörte auch nicht auf, es zu preisen. Und ja: lohnt sich wirklich! (2)

    Men, if you wake up and you don't have a boner, there's a problem. Yes or no? One or zero? Boner, no boner?

    Ebenfalls eine gute Heuristik.

    Zwei Tips von Kelly Starrett für Leute, die viel sitzen:

    Spend as much time in a lunge as you can.

    Und den M. Iliopsoas (v.a. hier gemeint ist der M. psoas major) kann man übrigens mit einem Ball auch selbst massieren. Der verkürzt durch stundenlanges Sitzen massiv und bewirkt in der Bewegungsumkehr eine Hyperlordose der Lendenwirbelsäule. (Der Iliopsoas reagiert meiner Erfahrung nach auch sensibel auf Stress.) Wer dort Probleme hat, darf sich gerne mal den psoas major palpieren und schauen, ob der sich vielleicht ein bisschen verspannt und schmerzhaft anfühlt.

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    Derek Sivers, ehemaliger Gründer, nun Monomaniac und Autor.

    If [more] information was the answer, then we'd all be billionaires with six pack abs.

    Du kannst dir noch so viel Informationen auf Youtube reinziehen, am Ende zählen die Taten.

    Busy = out of control

    Wer ständig busy und gestresst ist, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

    45 statt 43

    Sivers hatte eine Fahrradstrecke. Er hat sich immer übel abgehetzt, und brauchte dafür meist so um die 43min. Und dann hat er einiges Tages einfach mal nen Lockeren gemacht und die Fahrt auch bisschen genossen und dachte, er würde jetzt super lange brauchen - aber ne, er brauchte 45min. Also nur 2min weniger, aber er war total relaxed und ausgeglichen danach. Manchmal braucht man für ne Sache einfach mal paar Minuten länger, ist dafür aber überproportional entspannter.

    Casey Neistat ist Filmemacher und Workaholic, weshalb ich ihn mag.

    I always say I got all my understanding of how business and life works from studying the Second World War (p.218)

    Dieses Statement hat mich mal veranlasst, Anthony Beevors Der zweite Weltkrieg zu lesen. Was ich empfehlen kann.

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    Sebastian Junger, Journalist (und was für einer). Nichtbesitzer eines Smartphones.

    How do you become a man in a world that doesn't require courage? [...] If you don't give young men a good and useful group to belong to, they will create a bad group to belong to. (p. 420)

    Männer organisieren sich in Gruppen. Darüber redet Jordan Peterson ja auch ständig.
    Der S. Junger hat eine menge spannende Sachen gemacht und geschrieben.

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    Sam Kass, krasser Koch und Obamas ehemaliger Ernährungsberater.

    The key in a restaurant, and the key in any kind of high-pressure situation, I think, is that 75% of success is staying calm and not losing your nerve. The rest you figure out, but once you lose your calm, everything else starts falling apart fast. (p.558)

    Lernen, wie man ruhig bleibt. Das lohnt sich, Leute, das lohnt sich.

    Pros use acid.

    Hier geht es um Kochen. Ganz banal: Man fügt der Nahrung etwas Säure bei. Ohne Witz: Hat mein Leben verändert. Was ein kleines bisschen Säure mit einem Essen macht - erstaunlich. (Fett und Salz sind cheaten! :trollface: )

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    Josh Waitzkin, erst Schachwunderkind, dann Taijiquan Weltmeister.

    To turn it on, learn to turn it off (and vice versa). (p.580)

    Wer lernen will, alle Kräfte zu mobilisieren, muss ebenso lernen, ganz loszulassen. Wer lernen will loszulassen, muss auch Erfahrungen damit sammeln, alle Kräfte zu mobilisieren. Dieser Satz ist mir hängen geblieben. Entspannung und Anspannung gehen Hand in Hand. Krass ist, wer in beliebiger Situation 100% abrufen kann oder wer nach dem Training, wenn das Herz noch wild pocht, sich hinlegen und einschlafen kann. Das zu trainieren war für mich eine ganz lohnenswerte Übung.



    1. N i c h t gut ist übrigens die deutsche Übersetzung. Meine Mutter hat das Buch auf Deutsch und da sträuben sich einem die Haare. ↩︎

    2. Hier meine Lesenotizen zu Dune↩︎

  • @Johannes schrieb:

    Ferriss, T. (2016). Tools of Titans. The Tactics, Routines, and Habits of Billionaires, Icons and World-Class Performers. London: Penguin Random House.

    @TylerDurden fragte: Wie findest du das Buch Tools of Titans bzw. hast du das schonmal gelesen?

    Ich antwortete: Tools of Titans ist eine anekdotische und bruchstückhafte Zusammenstellung bzw. ein Destillat der Tim Ferriss Podcasts. Ich habs Anfang 2017 gelesen und seit dem auch ziemlich oft Dinge nachgeschlagen. Was genau interessiert dich denn?

    @TylerDurden daraufhin: Ob [Tools of Titans] sich als Nachschlagewerk lohnt um einen groben Überblick über Konzepte zu bekommen.

    Lieber @TylerDurden: Ich nehme das als Anlass, eine kleine Lesenotiz zu schreiben. Dann bekommst du einen Eindruck.([^1]) Dabei konzentriere ich mich auf die Konzepte und Phrasen, die mir persönlich nachhaltig hängen geblieben sind und kommentiere ggf. Die Informationsdichte des Buches ist sehr hoch. Aber es bleibt eben bei Bruchstücken. Viel self help shit, Affirmationen und so. Aber dazwischen auch ab und an etwas wertvolles. Im Endeffekt sind die Tools of Titans die Lesenotizen vom Tim Ferriss. Da kann jeder dann schauen, für was er sich interessiert und dann weiter forschen.

    Danke für die Arbeit :smile: . Wie vermutet, einige Nuggets/ Impulse dabei die sich lohnen könnten. Den ein oder anderen Namen schonmal gehört. Der Hinweis mit der Deutschen Übersetzung ist auch gut.
    Finde es sehr interessant, dass anscheinend eine Bandbreite an Bereichen abgedeckt wird :smile: . Vom Titel her habe ich bei Wordl-Class Performers gar nicht an Sportliche Leistung gedacht. Aber cool das es trotzdem dabei ist :smiley:

  • @TylerDurden schrieb: Danke für die Arbeit :smile: . Wie vermutet, einige Nuggets/ Impulse dabei die sich lohnen könnten. Den ein oder anderen Namen schonmal gehört. Der Hinweis mit der Deutschen Übersetzung ist auch gut.
    Finde es sehr interessant, dass anscheinend eine Bandbreite an Bereichen abgedeckt wird :smile: . Vom Titel her habe ich bei Wordl-Class Performers gar nicht an Sportliche Leistung gedacht. Aber cool das es trotzdem dabei ist :smiley:

    Hätte ich noch erwähnen können: Das Buch ist dreigeteilt in I. HEALTHY, II. WEALTHY und III. WISE.

  • @Johannes schrieb:

    @TylerDurden schrieb: Danke für die Arbeit :smile: . Wie vermutet, einige Nuggets/ Impulse dabei die sich lohnen könnten. Den ein oder anderen Namen schonmal gehört. Der Hinweis mit der Deutschen Übersetzung ist auch gut.
    Finde es sehr interessant, dass anscheinend eine Bandbreite an Bereichen abgedeckt wird :smile: . Vom Titel her habe ich bei Wordl-Class Performers gar nicht an Sportliche Leistung gedacht. Aber cool das es trotzdem dabei ist :smiley:

    Hätte ich noch erwähnen können: Das Buch ist dreigeteilt in I. HEALTHY, II. WEALTHY und III. WISE.

    Danke fürs Update :smile:

  • bearbeitet Dezember 2020

    Schnipsel 6: Die Wirkung von Antibiotika

    Ein Schnipsel ist das Bruchstück einer Lehrmeinung innerhalb meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten. Das Schnipsel ist kritisch zu sehen und mag Ausgangspunkt von Diskussion und Diskurs sein. Ich fand dieses Bruchstück interessant oder hilfreich. Es entspricht nicht zwangsläufig meiner Meinung. Aus Bequemlichkeit verzichte ich aber auf den ständigen Konjunktiv.

    1928 war eines der bedeutendsten Jahre der Medizin. Es war das Jahr, in dem der britische Mediziner Sir Alexander Fleming zufällig auf die wachstumshemmende Wirkung eines Schimmelpilzes der Gattung Penicillium stieß. Zwar hatte Theodor Billroth bereits 1874 die Entdeckung gemacht, dass dieser Pilz das Wuchstum von Bakterien verlangsamte, doch ging hauptsächlich Flemings Name in die Geschichtsbücher ein. Denn erst ab diesem Zeitpunkt - 1928 - wurde das erste Antibiotikum der Welt - Penicillin - wirksam in der Medizin eingesetzt. Der Rest ist Geschichte: In den folgenden Jahren rettete Penicillin unzählige Menschenleben. Auch wenn heute viele Erreger dagegen resistent sind, wird das älteste Antibiotikum in einigen Teilen der Welt weiterhin eingesetzt.

    Vor der Entdeckung der Antibiotika waren diverse Erkrankungen tötlich, die heute als banal gelten!Mittelohrentzündungen, Zahnabszesse, Lungenentzündungen und diverse weitere bakterielle Infektionen konnten das Todesurteil bedeuten. Auch heute noch ist eine Infektion eine der größten Risiken, wenn man sich in freier Natur aufhält. Dies gilt für verdorbene Lebensmittel, Trinkwasser und für offene Wunden. Doch wie wirken Antibiotika eigentlich?

    Ein Antibiotikum (pl. Antibiotika) ist ein Stoff, der hemmend auf die Vermehrung von Bakterien wirkt. Er greift in Stoffwechselprozesse von Bakterien ein, wirkt z.B. hemmend auf die Zellwandsynthese, die Proteinsynthese oder die Zellteilung. Fast alle Antibiotika wirken bakteriostatisch. Nicht bakteriozid! Antibiotika töten also in der Regel die Erreger und anderen Bakterien nicht ab, sondern wirken wachstums- oder vermehrungshemmend. Dann ist das köpereigene Immunsystem gefragt. Seine Aufgabe ist es, die vorhandenen Bakterien, deren Vermehrung nun entschleunigt ist, zu vernichten.

    Daraus leiten sich Richtlinien zur Einnahme von Antibiotika ab: Es muss ausreichend lange und ausreichend regelmäßig eingenommen werden. Was ausreichend in diesem Fall genau bedeutet entscheidet der Arzt. Nicht das persönliche Wohlbefinden!

    Das Antibiotikum muss so lange regelmäßig eingenommen werden, bis der Körper die Erreger vernichtet hat. Nimmt man das Antibiotikum nur so lange, bis die Krankheitssymptome verschwinden, geht man u.U. ein ungeheueres Risiko ein. Wird ein Antibiotikum zu kurz oder zu unregelmäßig eingenommen, wird das krankmachende Bakterium nicht vollständig ausgerottet. Außerdem kann es zu einer Resistenzentwicklung des Bakteriums gegen das entsprechende Antibiotikum kommen.

    Versuchen wir, uns den Prozess zu veranschaulichen (1): Sagen wir jemand hat 1.000.000 Erreger im Körper. Ab 800.000 Erreger ist die Toxinproduktion hoch genug, damit sich der Patient krank fühlt. Er hat aber schon 1.000.000 im Körper, ergo fühlt er sich krank. Er geht zum Arzt und bekommt ein Antibiotikum verschrieben. Die Bakterien haben sich inzwischen auf 1.200.000 vermehrt. Der Pat. beginnt, das Antibiotikum zu nehmen. Seine Motivation dafür ist hoch, weil er sich schlecht fühlt. Da vergisst er schnell mal das undifferenzierte Argument seines Lieblings-Fitness-Influencers, Antiobiotika seien schädlich. Der Erreger vermehrt sich nicht weiter, das Immunsystem des Pat. hat nun eine Chance. Innerhalb einiger Tage dezimiert es die Zahl der Erreger auf 650.000. Der Pat. fühlt sich schon viel besser. Es geht ihm so gut, dass er bei Instagram abhängt. Jetzt erinnert er sich auch wieder daran, was sein Lieblingsinfluencer gesagt hat: Antiobiotika töten auch die guten Bakterien, z.B. im Darm! Der Pat. setzt das Medikament ab. Die Bakterienpopulation beginnt erneut, sich zu vermehren. Die Infektion flammt wieder auf. Unter Umständen wird die Erkrankung chronisch. Wenn der Pat. Pech hat, hatten einige der Erreger eine Resistenz gegen das Antibiotikum gebildet. Bei einer erneuten Gabe wird es nicht mehr anschlagen.

    Es gibt auch bakterielle Infektionen, bei denen ein Antibiotikum nicht anschlägt, weil es sich um reine Intoxikationsreaktionen handelt. Ursächlich für die Krankheitssymptome ist in solchen Fällen nicht mehr das Bakterium selbst, sondern das von ihm in den Wirt abgegebene Toxin.

    Dies ist z.B. bei Keuchhusten (=Pertussis) der Fall, wo die Toxine des Erregers, dem Bordetella pertussis, stundenlange Hustenanfälle bewirken. Das Bordetella-Toxin tut seine Wirkung noch lange, nachdem der Körper den Erreger bereits vollständig vernichtet hat. In der ersten Woche der Erkrankung, dem Stadium catarrhale, tritt erstmal eine unspezifische Erkältungssymptomatik auf. Der Arzt vermutet zu Recht eine gewöhnliche Erkältung. Dann aber, im Stadium convulsivum, bekommt der Patient stundenlange Hustenanfälle mit Erstickungsgefühlen. Diese gehen ausschließlich auf die Wirkung des Bordetella-Toxins zurück. Zu diesem Zeitpunkt sind nämlich fast keine Bakterien mehr im Körper vorhanden.

    Gegen das Bordetella-Toxin gibt es kein Gegenmittel und keine Therapie. Nicht selten brechen sich Erwachsene Patienten bei den Keuchhustenanfällen die Rippen. Auch die massive Erschöpfung ist nicht zu vernachlässigen. Der Hustenreiz ist schließlich eine ruckartige Kontraktion des Diaphragmas (=Zwerchfell) und der Bauchmuskulatur. Und der Betroffene kriegt dabei keine Luft. Aber man überlebt das schon. Für Kinder oder Geschwächte hingegen kann ein Keuchhusten auch ernsthaft gefährlich sein.

    In dem Moment, in dem der Arzt die richtige Diagnose "Keuchhusten" stellt, gibt es keine vernünftige Therapie mehr. Deshalb ist Keuchhusten einer der Fälle, in denen eine Impfung bei Kindern sinnvoll ist. Mehr zu dem Thema, wann eine Impfung angebracht ist, gibt's dann im Schipsel 7.



    1. Die Zahlen sind willkürlich aus der Luft gegriffen. Sie dienen nur dem Verständnis meines Arguments. ↩︎

  • bearbeitet Dezember 2020

    Schnipsel Inhaltsverzeichnis

    [wird regelmäßig aktualisiert]

    Ein Schnipsel ist das Bruchstück einer Lehrmeinung innerhalb meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten. Das Schnipsel ist kritisch zu sehen und mag Ausgangspunkt von Diskussion und Diskurs sein. Ich fand dieses Bruchstück interessant oder hilfreich. Es entspricht nicht zwangsläufig meiner Meinung. Aus Bequemlichkeit verzichte ich aber auf den ständigen Konjunktiv.

    Schnipsel 1: Zeitaltern und Umweltaltern
    Schnipsel 2: Die Entartung von Zellen
    Schnipsel 3: Eine Anekdote über Durst
    Schnipsel 4: Die Entzündungsreaktion
    Schnipsel 5: Pathogenitätsfaktoren von Bakterien
    Schnipsel 6: Die Wirkung von Antibiotika
    Schnipsel 7: Wann eine Impfung sinnvoll ist
    Schnipsel 8: Weitere Maßnahmen der Infektionsprophylaxe

  • bearbeitet Dezember 2020

    Schnipsel 7: Wann eine Impfung sinnvoll ist

    Ein Schnipsel ist das Bruchstück einer Lehrmeinung innerhalb meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten. Das Schnipsel ist kritisch zu sehen und mag Ausgangspunkt von Diskussion und Diskurs sein. Ich fand dieses Bruchstück interessant oder hilfreich. Es entspricht nicht zwangsläufig meiner Meinung. Aus Bequemlichkeit verzichte ich aber auf den ständigen Konjunktiv.

    Massenvergiftung oder Segen der Zivilisation? Impfen ist ein sensibles Thema. Die öffentliche Meinung ist zwiegespalten. Während manche aus Angst vor Impfschäden darauf verzichten, ihre Kinder gegen Kinderlähmung oder Diphtherie impfen zu lassen, plädieren andere für eine gesetzliche Impfpflicht. Es folgt ein grober Überblick, welche Impfungen es gibt und wann eine Impfung aus pharmazeutischer Sicht sinnvoll erscheint.

    Es gibt passive und aktive Impfungen. Bei der passiven Impfung wird dem Patienten ein Immunserum injiziert, das Antikörper gegen den Erreger oder das Toxin enthält, mit dem der Patient zuvor in Kontakt gekommen ist. Sinn ergibt das beispielsweise nach einem Tierbiss gegen Tollwut oder bei einer stark verschmutzten Wunde gegen Tetanus. Passive Impfungen werden als recht schmerzhaft beschrieben. Die Immunität besteht zeitnah nach der Impfung und hält etwa einen Monat an.

    Die aktive Impfung bewirkt eine gewollte und gezielt Auslösung des immunologischen Reflexbogens. Wie auch bei der passiven Impfung bezieht sich die nun folgende Immunisierung dabei nur auf den spezifischen Erreger. Im Gegensatz zur passiven Immunisierung dauert es bis zur Immuninität etwa 4 Wochen, da es so lange dauert, bis der immunologische Reflexbogen angelaufen ist und sich B- und T-Gedächtniszellen gebildet haben. Die Immunität hält dafür aber wesentlich länger an. Oftmals ist ein Impfschutz mehrere Jahrzehnte gegeben.

    Bei der aktiven Impfung unterscheidet man zwischen Lebendimpfstoff und Totimpfstoff. Bei den Totimpfstoffen unterscheidet man eine ganze Reihe von Untergruppen, die wir an dieser Stelle aussparen. Entscheidend ist, dass Totimpfstoffe aus nicht infektiösem Material bestehen (z.B. aus Bestandteilen von Erregern). Lebendimpfstoffe hingegen enthalten replikationsfähige Erreger, die theoretisch noch infektiös sind. Auf diese Impfungen sollte während der Schwangerschaft verzichtet werden - für gesunde Erwachsene sind sie aber harmlos, weil attenuierte Erreger (=abgeschächte) injiziert werden.

    Eine Impfung ist aus pharmazeutischer Sicht angebracht, wenn es entweder bei Ausbruch der Krankheit keine Therapie gibt - oder wenn bei der Dignosestellung bereits irreversible Schäden im Organismus vorliegen. Ersteren Fall haben wir bereits in Schnipsel 6 besprochen: Bei Keuchhusten gibt es keine Therapie gegen das Bordetella-Toxin, welches stundenlange Hustenanfälle auslöst. Ein Beispiel für den zweiten Fall - wo bei Diagnosestellung bereits irreversible Schäden vorliegen - ist Poliomyelitis, kurz Polio, die sog. Kinderlähmung. Ein weiteres Beispiel kann bei alten Menschen die Influenza-Grippe sein: Nach der Diagnose lassen sich nur die Symptome behandeln, und im Krankheitsverlauf kommt es zu einer massiven Schwächung des Immunsystems. Viele alte Menschen sterben an auf einer Grippe folgende bakterielle Superinfektion (siehe Schipsel 5).

    Diese beiden oder eine dieser beiden Vorraussetzungen gelten übrigens für alle Standard-Impfungen. Man sollte sich also in Ruhe überlegen, ob man erstens das eigene Kind dem Risiko einer dieser Infektionen aussetzen möchte, und zweitens mit einer Nichtimpfung gesamtgesellschaftlichen betrachtet dazu beitragen möchte, dass Erkrankungen wie Kinderlähmung, die in unseren Breiten dank der Impfung fast als ausgestorben gelten, wieder zurückkehren. Es gibt in Deutschland zwar keine Impfpflicht, wenn aber eine Erkrankung bei einem Kind auftritt, deren Eltern nachweislich die Impfung verweigerten, droht wegen einer Verletzung gegen die Sorgfaltspflicht der Entzug der Elternrechte.

    Wen das Thema Impfgegnerschaft weitergehend interessiert, kann ich diese Seite des RKIs empfehlen.

  • Coach Christopher Sommer war der Turnlehrer von Ido Portal und macht heute Kohle mit Onlinecoaching.

    Schwieriges Thema. Ich konnte das in den mehreren tausend Stunden mit Ido nie ganz rausfinden, was da die Story ist, was aber definitiv der Fall ist: Sommer und Ido haben sehr unterschiedlich Stories darüber wie viel Ido von Sommer gelernt hat. Meine Vermutung lehnt sich mehr an Idos Story: Kontakt war da, aber das Sommers sagt er wäre sein Turnlehrer gewesen ist übertrieben. Ido hatte schon in Israel einen Lehrer für das artistische Turnen. Idos Trainingsprogrammierung hat gar nichts von Sommer.
    Also ich würde die Aussage so nicht machen.

    Sind beides persönlichkeiten die gerne ihre eigenen Wahrheiten verbreiten

  • Danke @Joseph_Bartz . Habe es editiert

  • Popova, M. (2020). Undoing as Remaking: How Abraham Lincoln Drew Poetry and Power from His Suicidal Depression. Abgerufen unter: brainpickings.org/2020/12/03/lincoln-melancholy-depression/.

    THE SUICIDE’S SOLILOQUY
    
    The following lines were said to have been found near the bones of a man supposed to have committed suicide, in a deep forest, on the flat branch of the Sangamon, some time ago.
    
    Here, where the lonely hooting owl
        Sends forth his midnight moans,
    Fierce wolves shall o’er my carcase growl,
        Or buzzards pick my bones.
    
    No fellow-man shall learn my fate,
        Or where my ashes lie;
    Unless by beasts drawn round their bait,
        Or by the ravens’ cry.
    
    Yes! I’ve resolved the deed to do,
        And this the place to do it:
    This heart I’ll rush a dagger through,
        Though I in hell should rue it!
    
    Hell! What is hell to one like me
        Who pleasures never knew;
    By friends consigned to misery,
        By hope deserted too?
    
    To ease me of this power to think,
        That through my bosom raves,
    I’ll headlong leap from hell’s high brink,
        And wallow in its waves.
    
    Though devils yell, and burning chains
        May waken long regret;
    Their frightful screams, and piercing pains,
        Will help me to forget.
    
    Yes! I’m prepared, through endless night,
        To take that fiery berth!
    Think not with tales of hell to fright
        Me, who am damn’d on earth!
    
    Sweet steel! come forth from your sheath,
        And glist’ning, speak your powers;
    Rip up the organs of my breath,
        And draw my blood in showers!
    
    I strike! It quivers in that heart
        Which drives me to this end;
    I draw and kiss the bloody dart,
        My last — my only friend!
    

    Im Sommer 1839 schrieb der damals 30-jährige Abraham Lincoln ein Gedicht über den Selbstmord eines verzweifelten Mannes. Das Gedicht lässt sich durchaus autobiografisch interpretieren: Lincoln erlebte mehrere schwere depressive Episoden und wusste, wie sich Suizidalität anfühlt. Er wusste, wie es sich anfühlt, wenn jeder Gedanke am Ende zur Bedeutungslosigkeit strebt:

    [...] that intensity of thought, which will some times wear the sweetest idea thread-bare and turn it to the bitterness of death.

    Dabei sieht Lincoln den Selbstmord nicht als Schande, sondern als Freitod: "As a nation of freemen, we must live through all time, or die by suicide", schreibt er.

    Jahre später greift der Dichter Walt Whitman den patriotischen Bezug dieses Zitates auf. Whitman prophezeit: "America, if eligible at all to downfall and ruin, is eligible within herself, not without." Im Licht dieser Prophezeihung lässt sich betrachten, was in den letzten Jahren in den USA geschieht. Doch vorsichtig, dabei nur an Amerika zu denken! Die gleiche Saat schlummert vielleicht auch schon in der Erde unserer modernen Gesellschaft.

    Maria Popova, die Autorin hinter brainpickings.org, läd uns in ihrem Blogpost Undoing as Remaking ein, Lincolns "Hang zur Melancholie" als eine tiefe Ressource zu sehen. Das Erleben der tiefsten Abgründe mag als Inspiration dienen, dem Leben Bedeutung zu geben und die Welt zu formen.(1) Das fängt dann damit an, dass man seinen eigenen Dämonen eben diese Bedeutung verleiht: Die Dunkelheit ist der Lehrmeister des Lichts.



    1. Ein Jahrhundert später hatte bekanntermaßen Viktor Frankl im Konzentrationslager ganz ähnliche Gedanken. Der Bezug zur Depression aber fehlt bei Frankl und ich finde ihn ganz passend zu unserer Zeit, weil unsere heutigen Abgründe eher die Gestalt von psychischen Erkrankungen, Süchten, und Oberflächlichkeiten annehmen als die Gestalt von Hunger, Kälte und Tod. ↩︎

  • Cooler Log. Wir haben ungefähr zur gleichen Zeit Ten Arguments for Deleting you Social Media Accounts Right Now gelesen.

  • Schnipsel 8: Weitere Maßnahmen der Infektionsprophylaxe

    Ein Schnipsel ist das Bruchstück einer Lehrmeinung innerhalb meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten. Das Schnipsel ist kritisch zu sehen und mag Ausgangspunkt von Diskussion und Diskurs sein. Ich fand dieses Bruchstück interessant oder hilfreich. Es entspricht nicht zwangsläufig meiner Meinung. Aus Bequemlichkeit verzichte ich aber auf den ständigen Konjunktiv.

    Als gesunde Überträger bezeichnet man solche zahlreichen Menschen, die zwar nicht an einem Erreger erkrankt sind, ihn aber ausscheiden und damit meist unwissentlich andere Menschen infizieren. Die Existenz infizöser Menschen ohne Erkrankung führt uns deutlich die Relevanz von Maßnahmen der Infektionsprophylaxe vor Augen. Es reicht nicht, dass offensichtlich kranke Menschen uns infizieren können - auch offenbar Gesund stellen eine mögliche Infektionsquelle dar.

    Gesunde Überträger sind momentan natürlich von medialem Interesse, weil das Corona-Virus offenbar auch von Menschen weitergegeben wird, die keine Symptome haben. Dies, und die Beachtung der Inkubationszeit, führt dazu, dass wir im öffentlichen Raum nun mit Masken herumlaufen und arbeiten.(1) Der Mund-Nasenschutz ist eine Infektionsprophylaxe gegen einen Virus, der einen aerogenen Übertragungsweg nutzt.

    Infektionsprophylaxe beachtet den Übertragungsweg und die Infektionsform von Erregern. Es gibt vier Übertragungswege: aerogen (über die Atemwege), peroral (über den Mund-Magen-Darm-Weg), venerisch (über den Urogenitaltrakt) und parenteral (über das Blut).

    Die häufigste Infektionsform ist die Tröpfeninfektion über den aerogenen Übertragungsweg. Die Eintrittspforte des Erregers in den Körper befindet sich im Mund-Nasen-Rachen-Raum und/oder in den Atemwegen. Die Erreger verbreiten sich hauptsächlich über ungehemmtes Niesen und Husten. Angebrachte Hygienemaßnahmen zur Infektionsprophylaxe kennen wir alle: Husten und Niesen in die Armbeuge und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz. Btw: Das Desinfizieren von Oberflächen ist sinnlos gegen einen Erreger, der aerogen übertragen wird.

    Als zweithäufigste Infektionsform gilt die sog. Schmierinfektion. Der Übertragungsweg ist entweder peroral oder venerisch, die Erstmanifestation im Verdaunungstrakt oder im Genitalbereich. Die Erreger verbreiten sich über Oberflächen, Türklinken, Klobrille, Geschlechtsverkehr, Händeschütteln, Nasebohren und so weiter. Also: Händewaschen! Hier bekommt das Desinfizieren und Sterilisieren eine besondere Bedeutung. Dazu gleich mehr.

    Schließlich gibt es noch Wundinfektionen. Die Eintrittspforte ist hier eine lokale Verletzung. Übertragen werden solche Erreger z.B. durch Schmutz in der Wunde (denke an Tetanus), durch Husten oder Niesen auf offene Wunden, oder durch Verletzungen an benutzten Injektionsnadeln. Auch hier gilt es, auf Nies-/Hustenhygiene zu achten und Wunden abzudecken. Und natürlich um Gottes Willen beim nächsten Schuss nicht die Nadel zu teilen!

    Desinfektion bezeichnet die Abtötung aller vermehrungsfähigen Keime. Das Ziel ist, dass keine Infektiösität mehr vorliegt. Nicht erfasst werden dabei die Sporen von Pilzen und Bakterien und oft Viren. Klassische Maßnahmen der Desinfektion sind Hitze (Abkochen), UV-Strahlen und Desinfektion durch Chemikalien wie Phenole, Alkohole, Tenside (Händewaschen!) und Jod (kennt man von Operationen: das gelbe Zeug).

    Sterilisation bezeichnet nun die Abtötung aller Mikroorganismen inklusive der Viren. Das Ziel der Sterilisation ist die vollkommende Keimfreiheit (=Asepsis). Nicht erfasst werden dabei Pyrogene (=fiebererregende Stoffe) und Prione. Prione sind infektiöse Proteine. Vor einigen Jahren gab es mal Probleme mit einer Erkrankung, die umgangssprachlich Rinderwahn genannt wird (BSE, Bovine spongiforme Enzephalopathie). Dort werden Prione als Verursacher vermutet, weswegen auch die Beisetzung von Rindergehirn in Nahrungsmittel in der EU nun verboten ist. Außerdem von einer Sterilisation nicht erfasst werden thermophile Bakterien, wenn man thermische Sterilisationsverfahren verwendet. Klassische Sterilisationsmaßnahmen sind trockene Hitze (180°C für 30min oder 160°C für 120min) und feuchte Hitze (Dampfdrucksterilisation), radioaktive Strahlen oder die Begasung mit Ethylenoxid.

    Als weitere Maßnahme der Infektionsprophylaxe will noch die Konservierung genannt werden. Konservierung sind solche Maßnahmen, die den microbiellen Verderb von Nahrungsmitteln verhindern. Traditionell benutzt man dort Verfahren, die dem Nahrungsmittel die Feuchtigkeit entziehen, wie z.B. Rächern, Salzen und Trocknen. Heute benutzt man außerdem chemische Konservierungsstoffe. Man kann auch mittel kurzfristiger Hitze konservieren. Bei der Milch nennt man das Pasteurisierung (benannt nach Louis Pasteur, einem der Entdecker der Grundlagen der Sterilisation und Impfung). Konservierung ist weniger wegen möglicher Erreger im Essen wichtig. Damit wird die Magensäure in der Regel schon fertig. Vielmehr können die Stoffwechselprodukte von Pilzen und Bakterien extrem toxisch sein. Konservierung dient also v.a. dazu, die Bildung von Toxiden auszuschließen.

    Am Ende des Tages ist der beste Infektionsschutz natürlich ein gesunder Körper. Doch ein Narr, wer denkt, dass der Körper mit allem fertig wird. Wird er nicht. Mit vielem ja, aber nicht mit allem. Das gilt vor allem für Geschwächte. Deshalb sind Verfahren der Infektionsprophylaxe ein Segen der Zivilisation.



    1. Politische Interesse und weitere Faktoren spielen natürlich auch eine Rolle. Der Mund-Nasenschutz ist umstritten. Sog. Corona Maßnahmen werden zu Recht kritisch betrachtet. Das soll hier aber nicht das Thema sein! ↩︎

  • Willink, J. & Bozak, J. (2018). Way of the Warrior Kid. Marc's Mission. New York: Square Fish.

    Zum Glück ist Jocko Willink kein Intellektueller. Stattdessen produziert er wertvolle Inhalte. Zwar bezeichnet er sich selbst bescheiden als "knuckle dragger". Doch schenkt man ihm genügend Aufmerksamkeit, bemerkt man die Tiefe seines Werks. Tiefe nicht gemessen an elaborierter Sprache oder komplexen Ideen - das ist etwas für den Elfenbeinturm. Sondern gemessen an der unmittelbarer Lebensrealität. Marc's Mission ist Buch für Kinder. Dann wiederum ist es ein Buch für alte Kinder. Und am Ende ist es ein Buch für alle.

    Kinderbüchern wohnt eine gewisse Anlage zur Wahrhaftigkeit inne. Manchmal denke ich, dass in Kinderbüchern Wahrheit gesprochen wird. Natürlich sind viele Kinderbücher Müll - und natürlich sind manche Bücher für Erwachsene großartig. Aber in Kinderbüchern finde ich doch oft eine gewisse, befreite Anspruchlosigkeit. Befreit von dem Zwang, etwas elaboriertes, etwas komplexes, intelligentes und verschachteltes schreiben zu müssen, sagt der Autor in kurzer und präziser Sprache, was er sagen will. Sei dieser Inhalt nun gut oder schlecht - er ist frei und liegt offen da. Kein Versteck, keine Maskerade.

    Sein erstes Kinderbuch veröffentlichte Willink 2017 unter dem Titel Way of the Warrior Kid. From Wimpy to Warrior the Navy Seal Way. (1) Die Warrior Kid-Reihe dreht sich um einen Jungen namens Marc. Mit Hilfe seines Onkels Jake, einem NavySEAL mit gewissen Ähnlichkeiten zu Willink selbst, begibt sich Marc auf den Weg der Krieger. Dieser Weg - "THE PATH", wie Willink sagen würde - ist der Weg der Disziplin, des Strebens, des Lernens, des Trainings, des Folgens und des Führens. Inzwischen ist die Reihe fünf Bände stark. _Marc's Mission ist der zweite Band.

    Im Vergleich zum ersten Buch der Reihe, erscheint Marc's Mission ausgereifter. Es ist länger als das erste, und das spürt man. Die Geschichte hat mehr Zeit sich zu entfalten. Onkel Jakes Lektionen fließen ineinander über. Meine Vermutung ist, dass der erste Band als einzelnes Buch geplant war. Willink hat versucht, möglichst viel darin unterzubekommen. Es ist teilweise etwas überladen. Das ist jetzt Kritik auf hohem Niveau. From Wimpy to Warrior ist gut lesbar und verständlich, aber eben auch recht voll. Marc's Mission lässt sich selbst - und dem Leser - etwas mehr Zeit, das Gelernte sacken zu lassen.

    Illustriert werden die Warrior Kid-Bücher von Jon Bozak. Der Stil ist einfach: Schwarz, weiß, Outlines im Comicstyle. Wie zum Ausmalen. In Jugendzeiten spielten Willink und Bozak zusammen in der hardcore Band Bronsons Children. Heute ist Bozak der "Head of Operations" von Jocko Publishing, Willinks eigenem Verlag. So macht Jocko Willink das seit jeher. Er brauchte einen Ort zum Trainieren - er eröffnet ein MMA-Gym. Er fand keine guten Bücher für seine Kinder - er schreibt welche. Es gibt keine Verläge, die unkompliziert veröffentlichen - er gründet einen. Die Liste geht endlos weiter. Inzwischen hat Willink eine Art Imperium: Gym (Victory MMA), Nahrungsergänzungsmittel (Jocko Fuel), Podcast (Jocko Podcast), Anteile einer Textilienfarbik (Origin Maine USA), Unternehmensberatung (EchelonFront), Verlag (Jocko Publishing). Doch zurück zum Buch.

    Marc lernt in seinem zweiten Sommer mit Uncle Jake einige wichtige Lektionen. Der gemeinsame Sommer ist das Setting der Bücher: Uncle Jake hat den Sommer über frei und verbringt ihn mit seinem Neffen Marc. Marc hat die typischen Probleme eines Heranwachsenden und Uncle Jake dient als Mentor des Jungen. Am Ende des Sommer ist Marc ein Stück reifer und verbringt den Rest des Jahres damit, das Gelernte in die Tat umzusetzen. In Marc's Mission lernt Marc, ruhig zu bleiben und seine Emotionen zu kontrollieren. Mit Geld umzugehen. Er lernt, Dinge zu reparieren und sich um seine Ausrüstung zu kümmern. Den Wert eines gepflegten Wettkampfes. Und er lernt, einen Jungen, mit dem er zu Beginn der Geschichte verfeindet ist, auf den Weg des Kriegers zu führen, statt ihn zu bekämpfen.

    Was können Willinks Kinderbücher leisten? Willink ist der Inbegriff von Skin in the Game. Seine Bücher bieten einen Einblick, wie ein wahrer Krieger seine eigenen Kinder, sich selbst, und seine Kameraden erziehen würde. Man findet Einblicke, was man Bösen in dieser Welt entgegen setzen kann. Erstmal, dass es das Böse überhaupt wirklich gibt!(2)

    Dass das Böse real ist, ist ja für viele von uns weichgespülten, wohlstandsverwahrlosten Konsumopfern alleine schon etwas kaum begreifliches. In diesem Sinne möchte ich noch folgenden Wortwechsel über Willinks Kinderbücher zwischen Willink und Charles Poliquin teilen:

    Snowflake = Entitlement. Die Snowflake schmilzt unter Druck.

    Bei Willink findet man viel zum Thema geistige Ausbildung. Und zwar von einem Mann, der seine Truppen in den Kampf führte. Mehr muss nicht gesagt werden.



    1. Willink, J. & Bozak, J. (2017). Way of the Warrior Kid. From Wimpy to Warrior. New York: Feiwel and Friends. ↩︎

    2. Das ist Willinks Schnittstelle zu Jordan Peterson. Diese Kombination ist deshalb so spannend, weil ein Krieger und ein Intellektueller, die beide das Böse und das Chaos studiert und erlebt haben, zu nahezu gleichen Ergebnissen kommen. Dazu werde ich in der nächsten Zeit noch einiges schreiben. ↩︎

  • @Johannes schrieb:
    Aber in Kinderbüchern finde ich doch oft eine gewisse, befreite Anspruchlosigkeit. Befreit von dem Zwang, etwas elaboriertes, etwas komplexes, intelligentes und verschachteltes schreiben zu müssen, sagt der Autor in kurzer und präziser Sprache, was er sagen will. Sei dieser Inhalt nun gut oder schlecht - er ist frei und liegt offen da. Kein Versteck, keine Maskerade.

    Gerade das ist ziemlich schwer: sich kurz und präzise auszudrücken, ohne unterkomplex und trivial zu werden. Viele, die so zu schreiben versuchen, scheitern meiner Meinung nach daran. Nicht jeder kann so schreiben wie Jocko. Wobei ich nur zwei seiner Erwachsenenbücher kenne.

  • @Tobias schrieb: Gerade das ist ziemlich schwer: sich kurz und präzise auszudrücken, ohne unterkomplex und trivial zu werden. Viele, die so zu schreiben versuchen, scheitern meiner Meinung nach daran. Nicht jeder kann so schreiben wie Jocko. Wobei ich nur zwei seiner Erwachsenenbücher kenne.

    Ich stimme dir zu. Meine Meinung ist da wahrscheinlich zu sehr durch einige herausstechende Beispiele wie z.B. Sieben Minuten nach Mitternacht von Patrick Ness & Siobhan Dowd und weitere geprägt. Den ganzen Schund hab ich wahrscheinlich ausgelassen und lebe da in einer Art Blase.

  • bearbeitet Dezember 2020

    Brown, R. E. (2020). Jocko vs. Evil. Abgerufen unter: thecritic.co.uk/jocko-vs-evil/.

    Die heißesten Orte der Hölle sind jenen vorbehalten, die untätig bleiben in Zeiten moralischer Krise." -- Dante Alighieri

    Das Böse ist real. Und es lacht über uns politisch korrekten Westler. Denn die westliche Welt verschließt voller Naivität und Angst die Augen vor dem Bösen - und ist damit das Böse selbst: Das Wegschauen, das Nichtglaubenwollen zieht Menschen heran, die es nicht wagen zu widersprechen, wenn das Böse erstarkt - die sich nicht erheben, wenn das Böse um sich greift.

    Denn das Böse ist noch da. Es wird nie verschwinden. Zu schnell vergessen wir das Böse, wenn wir wohlbehütet daheim sitzen oder uns im Konsum vergessen. Als sei es eine ferne Sache der Vergangenheit. Doch das ist es nicht. Nur weil wir es selbst nicht gesehen haben, ist es nicht weniger real. Stattdessen können wir den Geschichten von Menschen lauschen, die es gesehen haben. Männern wie Jocko Willink, der, an Gewalt und Tod gewöhnt, doch die Sprache verlor, als er die Folterkammern nahe Baghdad betrat. Der wöchentlich einen Podcast veröffentlicht, in dem er die Memoiren von Menschen verliest, die dem Bösen in die Augen blickten. Manchmal sind diese Menschen sogar dort zu Gast und erzählen. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören.

    In seinem Podcast erforscht und portraitiert Willink das Böse. Willinks Werk über Grausamkeit, schreibt Brown in seinem Artikel Jocko vs. Evil, sei jüngst der ambitionierteste Versuch, die Idee des Bösen in einem populären Medium zu untersuchen. Was finanziell nicht einfach ist. Das Böse verkauft sich schlecht in unserer Wohlstandgesellschaft. Es sei denn in Form von Unterhaltung natürlich, beim abendlichen Game of Thrones. Da ist das Böse dann aufregend. Weil es nichts mit einem selbst zu tun hat.

    Ist es das, was ihr wollt?
    Ist es das, was ihr liebt?
    Klatscht ihr brav im Takt, he?
    Seid ihr vergnügt, he?
    Lang lebe der Tod! -- Casper (1)

    .

    "Evil" is, in our time, a tough sell. -- R. E. Brown

    Das Böse ist unbequem. Noch unbequemer, wenn man zu bedenken gibt, was Jordan Peterson zu bedenken gibt: Das Böse schlummert in jedem von uns. Jung nennt das den Schatten.(2) Stelle dir vor, du seist der Aufseher im Konzentrationslager, predigt Peterson.(3) Wenn man sich derart mit dem Bösen in der Welt und mit dem Bösen in sich selbst beschäftigt, ist das nicht angenehm. Es ist gut - zweifellos - aber nicht angenehm. In unserer Lustgesellschaft ist das ein plausibler Grund, sich nicht länger damit zu befassen. "Zu anstrengend", stönt man, und lässt sich aufs Sofa plumpsen.

    Seine Untersuchungen führen Willink immer wieder zu ähnlichen Rahmenbedingungen des Bösen: Die willentliche Ungläubigkeit, das willentliche Blindsein und Verneinen des Bösen, die (zunächst sprachliche) Entmenschlichung von Minderheiten zu Ungeziefer, vergewaltigende Männer, Gewalt gegen die Meinungsfreiheit, Rassenkult und Bürokratie. "And the inferno, it seems, has no bottom", schreibt Brown. Er meint: Menschen können unvorstellbare Gräueltaten vollbringen. Willink spart die Details nicht aus.

    There are details in these podcasts to make any healthy person nauseous. -- R. E. Brown

    Die Verbindung zwischen Peterson und Willink ist spannend, weil zwei Männer aus unterschiedlichsten Welten ähnliche Gedanken haben. Peterson, der Intellektuelle, baut sein Verständnis des Bösen auf Bücher und Geschichten. Willink, der Krieger, der Soldat, hat es direkt erfahren. So sehr sich Peterson und Willink unterscheiden - in ihrer Sprache, ihrem Aussehen, ihrer Herkunft - so sehr ähneln sich doch ihre Gedanken rund um das Böse. Willink, der Praktiker, bescheinigt Peterson übrigens "a clear understanding of evil."

    Nicht nur vertreten beide die Annahme, man müsse das Böse konfrontieren, sich damit auseinandersetzen, sich daran erinnern. Auch schlagen sie ganz ähnliche praktische Wege vor, damit umzugehen. Ihre Ratschläge drehen sich um das Annehmen von Verantwortung für das persönliche Umfeld, um intensives Lesen und nachempfinden von Gräueltaten, um Gedenken, darum, sich selbst zu einer besseren Person zu entwickeln. Das mündet in Selbstentwicklung auf der Grundlage des individuellen Lebenswandels. Darüber hat Peterson sein 12 Rules of Life geschrieben und Willink sein Discipline Equals Freedom. Field Manual. Auch Willinks Kinderbücher geben tiefe Einblicke.(4)

    Most atrocity stories turn out to be tales of identity gone sour. -- R.E. Brown

    Brown argumentiert, eine gemeinsame Grundlage Peterson und Willinks seien christliche Moralvorstellungen. Während Willink zwar nicht von Religion oder God spricht, sondern metaphorisch von Licht und Dunkelheit, taucht Peterson bekanntermaßen und die Tiefe biblischer Geschichten ein. Beider Vorstellungen des Bösen seien geprägt von der amerikanischen Vorstellung des Bösen, schreibt Brown weiter. Worum es in den betreffenden Absätzen von Browns Artikel geht, so scheint mir, ist die Frage, was das Böse überhaupt ist. Eine schwer zu beantwortende Frage.

    Jockos Podcast erscheint in einer Zeit tiefer politischer Spaltung der amerikanischen Bevölkerung. Brown bescheinigt dem Podcast eine gewisse Nostalgie an vergangene Zeiten amerikanischer Einigkeit. Die amerikanische Mission, in der Welt ihre Vorstellung des Guten militärisch durchzusetzen, schien das Land zu einen. Davon sei man jetzt weit entfernt, es sei still geworden in der Außenpolitik bezüglich der amerikanischen Idee, sich in Übersee Monster zu suchen, die man zerstören könne. Der Artikel bekommt hier eine ordentliche militärische US-patriotische Note. Wir sind hier fast am Ende des Artikels angelangt.

    Aus der amerikanischen Macht erwachse eine Verantwortung, schließt Brown seinen Artikel. Diese Verantwortung werde jüngst deutlich in Willinks Interview mit der Holocaust-Überlebenden Rose Schindler. Im Abschluss des Podcasts #219 dankt Schindler Willink für seine Arbeit und dafür, das Gedächtnis an den Holocaust am Leben zu halten. Die Szene ist berührend.(5)

    Schließen wir also diese Lesenotiz mit dem Gedanken, wie entscheidend es ist, sich dem Bösen zu stellen. Die Augen davor zu verschließen führt in einen höllischen Kreislauf. Es führt zu unmündigen Menschen. Es führt zum Bösen selbst. Doch: Was ist überhaupt böse? Manchmal ist das leicht zu beantworten, manchmal nicht. Das Böse fängt jedenfalls im Kleinen an - genauso wie es zum bodenlosen Inferno zu werden vermag. Und es lässt sich im Kleinen und im Großen bekämpfen. Wenn man den Mut hat, ihm in die Augen zu blicken.



    1. youtube.com/watch?v=Ls-U01un_Bk ↩︎

    2. Schattenarbeit ↩︎

    3. youtube.com/watch?v=w74EuWtxNTc ↩︎

    4. Lesenotizen zu Willinks zweitem Kinderbuch ↩︎

    5. youtu.be/Th1t1UvnYP4?t=9749 ↩︎

  • bearbeitet Dezember 2020

    Wenn du dich für das Böse interessierst und offen für psychodynamische, tiefenpsychologische Ansätze bist, könnten Bücher von Arno Gruen wie zum Beispiel Der Fremde in uns oder Der Wahnsinn der Normalität was für dich sein. Oder Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität.

    Ich habe diese Bücher vor längerer Zeit gelesen (Prä-Zettelkastenzeit) und kann mich deshalb leider nicht mehr so gut daran erinnern. Aber ich denke, es könnte was für dich sein.

    Gerade bei Erich Fromm wundert mich sowieso, dass Jordan Peterson ihn völlig unerwähnt lässt. Ich denke, das hat politische Gründe, weil Erich Fromm der Frankfurter Schule zugerechnet wird und wie viele Denker seiner Zeit noch nicht wusste, dass die UdSSR und die DDR keine gelobten Länder waren. Ich gehe aber schwer davon aus, dass J.P. um Erich Fromm weiß …

  • bearbeitet Dezember 2020

    @Tobias Danke für deine Anregungen! Alle drei Bücher wecken meine Neugier. Ich nehme Der Fremde ins uns in meine Leseliste für 2021 auf - und behalte die anderen im Hinterkopf.

    EDIT: Ich lese das Werk Dostojewskijs mit dem Blick auf das Böse. Das ist auch sehr fruchtbar.

  • Jysch, A. & Kutscher, V. (2018). Der nasse Fisch. Hamburg: Carlsen.

    Der nasse Fisch handelt von dem Kommissar Gereon Rath. Das Graphic Novel, das auf Volker Kutschers berühmten gleichnamigen Kriminalsroman basiert, erschien 2018. Das war ein halbes Jahr vor der TV-Serie Babylon Berlin, und damit gerade rechtzeitig, um nicht als deren Kopie zu gelten.

    Der nasse Fisch ist feinste Unterhaltung! Man taucht ins Berlin der 1920er Jahre ein. Der Zeichner Arne Jysch hat lange Bilderstudien durchgeführt, um die Schauplätze, den Kleidungsstil, die Körperformen und -haltungen - kurz: die Atmosphäre - einzufangen. Mit großem Erfolg. Auf dem Umschlag steht, dass das Graphic Novel neben der berühmten Romanvorlage als eigenes Kunstwerk bestehen kann. Ich stimme dem zu und empfehle es weiter. (@Daniel )

    Ein Eindruck des Stils.(1)



    1. Bildquelle: tip-berlin.de/kultur/buecher/volker-kutschers-der-nasse-fisch-erscheint-als-comic/ ↩︎

  • bearbeitet Dezember 2020

    Murakami, H. (2006). Kafka am Strand. München: btb Verlag.

    Ich finde Murakamis Bücher zuverlässig in "Zu-verschenken"-Kisten am Straßenrand. Sie zu lesen dauert länger als gewöhnlich. Das liegt einerseits an ihrer Sprache. Ich habe mal gehört, Murakami schreibe auf Englisch und übersetze erst danach in seine Muttersprache Japanisch. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber es erscheint mir plausibel, weil seine Sprache wirklich besonders ist. Auf den ersten Blick wirkt sie steril; auf den zweiten Blick wohnt ihr eine tiefe Ruhe und Achtsamkeit inne, die sich beim Lesen auf mich überträgt.

    Kafka am Strand habe ich auf der Straße gefunden, kurz nachdem @Jost es mir empfohlen hatte. In Murakamis Büchern wäre das sicher kein Zufall gewesen. Ständig zitiert er Tschechows Gewehr: "Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben. Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert." Eine weitere entscheidende Zutat eines klassischen Murakamis ist die Fülle an Symbolen und Traumwelten, an real werdenden innerpsychischen Orten. Davon gibt es in Kafka am Strand reichlich.

    Es läuft irgendwie immer gleich ab: Wenn ich einen Murakami lese, den ich auf der Straße gefunden habe, verstehe ich auf den ersten hundert Seiten wenig. Das Buch behagt mir nicht so recht. Ich lege es weg, doch nehme es wieder in die Hand. Ich könnte nicht sagen, warum ich überhaupt weiterlese. Es ist weder wirklich unterhaltsam, noch interessiert es mich sonderlich. Doch ich lese immer weiter. Und dann, auf den letzten fünfzig Seiten (oder auf den letzten fünf Seiten, wie bei 1Q84 (1)) verstehe ich alles.

    Zurück zu Kafka am Strand: Ein Junge, der sich Kafka Tamura nennt, läuft mit 15 Jahren von zu Hause weg. An einem Ort, weit weg von zu Hause, findet er Obdach in einer erwürdigen Bibliothek. Dort trifft er einen Transgender, das ihm hilft und ihm als Mentor dient.

    [...] in unserem Kopf - oder vielleicht sogar der Kopf selbst - ist ein kleines Zimmer, in dem diese Dinge als Erinnerungen aufbewahrt bleiben. Ein Zimmer wie unsere Bibliothek. Und um über unseren genauen geistigen Zustand auf dem Laufenden zu sein, müssen wir die Karteikarten in diesem Zimmer ständig ergänzen. Wir müssen es reinigen, lüften und das Blumenwasser wechseln. Anders ausgedrückt, man lebt auf Ewigkeit in seiner eigenen Bibliothek. (432)

    Kafka verliebt sich in Saeki, eine geheimnisvolle ältere Frau. Doch die beiden werden von ihrer Vergangenheit heimgesucht. In einem beachtlichen inneren Kampf schafft Kafka es, die inneren Dämonen seiner familiären Vergangenheit hinter zu lassen und kommt ins Reine. Man kann den Roman als bildhafte Darstellung einer gelungenen Schattenarbeit lesen. Diese Schattenarbeit geschieht an zwei Symbolischen Orten: Der Bibliothek; und einer einsamen Hütte im Wald.

    Nachdem ich mich meiner Ausrüstung entledigt habe, gehe ich nunmehr unbelastet durch den Wald. Ich konzentriere mich nur darauf, voranzukommen. Es ist nicht mehr nötig, die Bäume zu markieren. Nicht mehr nötig, sich den Rückweg zu merken. Ich gebe es sogar auf, mir die Umgebung genau anzuschauen. Ihr Anblick ändert sich sowieso kaum: dichte, hoch aufragende Bäume, wuchernde Farne, hängende Efeuranken, knotige Wurzeln, faulendes Laub am Boden, vertrocknete Insektenpanzer. Zähe klebrige Spinnennetze. Und unzählige Äste, eine wahre Welt von Ästen. Drohende Äste, miteinander verschlungende Äste, sich geschickt verbergende Äste, knorrige Äste, meditierende Äste, welke und abgestorbene Äste. Eine endlos wiederkehrende Szenerie. Nur wird sie im Laufe der Wiederholung ganz allmählich immer dichter.
    Den Mund fest geschlossen, folge ich dem Weg - oder dem, was aussieht wie ein Weg. [...] Zuweilen scheint der Weg sich im Meer der Farne oder im dornigem Gestrüpp zu verlieren. Folge ich jedoch meinem Instinkt, finde ich ihn immer wieder. Ich fürchte mich nicht mehr vor dem Wald. Auch hier gibt es so etwas wie Regeln, oder zumindest Regelmäßigkeiten. Seit ich keine Angst mehr habe, werden sie mir allmählich offenbar. Ich nehme die ewige Wiederkehr darin in mich auf und werde selbst ein Teil von ihr.
    Ich habe nicht mehr. Weder die Spraydose mit der gelben Farbe, mit der ich noch vor kurzem so sorgfältig umgegangen bin, noch das frisch geschärfte Beil. Auch der Rucksack ist weg, mit ihm Wasserflasche und Proviant. Kein Kompass. Alles habe ich unterwegs nacheinander zurückgelassen. Damit versuche ich dem Wald sicher zu vermitteln, dass ich mich nicht fürchte und dass meine Wehrlosigkeit frei gewählt ist. Vielleicht auch mir selbst. Nachdem ich meinen harten Panzer abgeworfen habe, mache ich mich nackt auf den Weg ins Innere des Labyrinths, um mich der Leere, die dort herrscht, zu überlassen.
    [...]
    Der Wald bedroht mich bald von oben, bald vom Boden her. Ich spüre einen kalten Hauch im Nacken. Ich spüre etwas wie tausend Nadelstiche auf der Haut. Der Wald versucht auf verschiedene Weise, den Fremdkörper abzustoßen. Doch mit der Zeit bin ich imstande, seine Drohungen an mir abprallen zu lassen und gelange zu der Einsicht, dass dieser Wald letztes Endes ein Teil von mir ist. Ich bin auf einer Reise durch mein eigenes Inneres. Wie Blut, das durch Adern fließt. Was ich im Wald sehe, ist in mir selbst, und was ich als Bedrohung wahrnehme, ist das Echo der Angst in meinem Herzen. Die Spinnengewebe im Wald sind die Spinnengewebe in meinem Herzen. Die rufenden Vögel über mir sind die Vögel, die ich in mir selbst herangezogen habe. Solche Bilder entstehen in mir und schlagen Wurzeln. (539f) (2)

    Wieder gibt es ein Musikstück, dass sich durch das Buch zieht - auch das ist typisch für Murakami. Diesmal ist es Beethovens Erzberg-Trio, gespielt von Rubinstein, Heifetz und Feuermann.(3) In 1Q84 war es die Sinfonietta von Janácek; in den Pilgerjahren des farblosen Herrn Tazaki, die ich 2013 gelesen habe, war es Le mal du pays von Liszt (aus den Années de Pèlerinage, gespielt von Lazar Berman(4)). Letzteres höhre ich bis heute.

    Ich bin wieder bei mir. Die Konturen meines ichs schieben sich übereinander und rasten mit einem leisen Klicken ein. (78)



    1. Lesenotizen zu 1Q84 ↩︎

    2. Ich musste bei diesem Textabschnitt krass an eine Ausdauereinheit des Willensexperiments, denken, @Sascha↩︎

    3. youtube.com/watch?v=2BopNoD_Zgc ↩︎

    4. youtube.com/watch?v=Y6mCkeL2o8M ↩︎

  • bearbeitet Dezember 2020

    Jahresrückblick 2020

    Entstanden dank der vielen Freizeit während des ersten Lockdowns 2020 gibt es diese Lesenotizen nun ein knappes Jahr. Es wird Zeit für einen Rückblick.

    In dieser Zeit habe ich 38 Bücher gelesen. 2 Bücher habe ich angefangen und nicht zu Ende gelesen. Die abgeschlossene Lektüre zählte 10 Fachbücher, 8 Graphic Novels und 20 Romane oder Theaterstücke. Direkt nach dem Lesen kommt mir fast jedes Buch irgendwie wichtig vor. Oftmals beobachte ich erst mit ein wenig Abstand, welche Bücher mich nachhaltig beeinflusst haben.

    Die beeindruckendsten Bücher, die ich 2020 gelesen habe:

    Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez
    Ich habe noch nie einen derartigen Roman gelesen. Die Geschichte einer Familie erstreckt sich über mehrere Generationen. Die Charaktere sind exzentrisch und unverbesserlich. Psychologisch und sprachlich grandios.

    Morgen bin ich ein Löwe von Arnhild Lauveng
    So reflektiert von einer psychisch Kranken zu lesen ist selten und war ungeheuer wertvoll für meine Sicht auf Menschen mit diagnostizierten Erkrankungen inkl. mir selbst und meiner Vergangenheit in der Psychologie.

    MAUS von Art Spiegelman
    ist neben Frankls trotzdem Ja zum Leben sagen und dem Film Defiance das einzige Medium, das mir wirklich einen emotionalen Einstieg in die Thematik des Holocaust gewährt hat. Ein unglaubliches Werk.

    Indistractable von Nir Eyal
    hat mir unter anderem die emotionalen Aspekte der Aufmerksamkeitssteuerung vor Augen geführt.

    Punished by Rewards von Alfie Kohn
    veränderte meine Sicht auf den moralischen Aspekt von Belohnungen sowie darauf, was Freiheit und Autonomie bedeutet.

    Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch
    ist das beste Theaterstück, das ich kenne. Seitdem ist "den Biedermann machen" in meinem Freundeskreis eine klassische Bezeichnung für alle Mundtoten. Das Stück halt gewaltige politische Kraft. Es bietet auch eine literarische Sicht auf die Krankheit der Moderne.

    Der Wüstenplanet von Frank Herbert
    hat mich großartig unterhalten. Ich bin in diese Welt völlig eingetaucht.

    How to Do Nothing von Jenny Odell
    ist mein Lieblingsbuch aus 2020. :smile:


    Danke für eure Beteiligung an diesen Lesenotizen durch zahlreiche Empfehlungen, Kommentare, Nachfragen und Diskussionen. :heart:

  • Peterson, J. B. (2018). Compare Yourself to Who You Were Yesterday, Not to Who Someone Else Is Today. In: Twelve Rules for Life. An Antidote to Chaos. Toronto: Penguin Random House.

    Rule 4: Compare Yourself to Who You Were Yesterday, Not to Who Someone Else Is Today

    Jordan Petersons vierte Regel lässt sich aus der Perspektive einer Low Information Diet interpretieren. Da ich das Jahr mit einer Low Information Diet starte (1), scheint es mir ein passender Zeitpunkt zu sein, einige von Petersons Ausführungen aufzugreifen und sie als Argumente für einen restriktiven und disziplinierten Informationskonsum zu beleuchten. Bevor wir uns allerdings dem vorliegenden Kapitel zur Regel Nummer 4 widmen, müssen wir kurz wiederholen, was Peterson über den Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und dem Selbstwert einer Person argumentiert hat.

    Der soziale Status einer Person, also ihr Stand in einer sozialen Hierarchie, beeinflusst ihren Selbstwert maßgeblich. Peterson demonstriert das an Hummern.(2) Grob zusammengefasst besagt seine Theorie, dass sich der Status und der Selbstwert einer Person in ihrem Serotoninspiegel widerspiegeln. Personen, die soziale Hierarchien dominieren, sind Träger eines hohen Selbstwertes. @Sascha hat zu den Implikationen dieser Theorie und ihrer Anwendung auf uns moderne Menschen einen spannenden Artikel veröffentlicht, den ich an dieser Stelle bei weiterführendem Interesse empfehlen möchte.(3,4) Für unsere Betrachtung der vierten Petersonschen Regel ist jedoch nur ein grundlegendes Verständnis notwendig.

    Die Morderne hat uns steile Dominanzhierarchien beschert. "It was easier for people to be good at something when more of us lived in small, rural communities", leitet Peterson ein und wir verstehen, was er meint. Die Urbanisierung hat unserem Selbstwert nicht gut getan. Es war deutlich leichter, eine Hierarchie zu dominieren, als wir noch in kleinen Gemeinschaften lebten. Da gab es im Dorf nur einen Schmied. Dann war der Schmied automatisch der beste Schmied des Dorfes. Er trug den hohen Selbstwert des Gewinners. Und selbst wenn es zwei Schmiede im Dorf gab, konnte man sich doch leicht vom anderen absetzen. Dann war man eben der nettere Schmied von beiden, oder der bessere, oder wenn schon nicht der bessere, dann war man doch zumindest schneller zur Stelle, oder zuverlässiger, oder besser im Hufeisenschmieden, oder, oder, oder. Und wenn es im Dorf nur 10 Frauen im heiratsfähigen Alter gab, war es für ein junges Fräulein nicht schwer, herauszustechen und einen Mann zu finden. In den Hierarchien der Millionenstadt ist selbst derjenige noch einer unter vielen, der besser als 1000 andere ist. Und mit der Urbanisierung nicht genug. Führen wir den Gedanken weiter zur Globalisierung - und vor allem: zum Internet.

    Soziale Medien konfrontieren uns ununterbrochen mit steilen Hierarchien. Sie führen zu einem ständigen ungünstigen sozialen Vergleich. Ungünstig deshalb, weil er auf mehreren Ebenen manipuliert ist. Einmal entscheidet der Postende über die Inhalte seines Posts, d.h. er zeigt selektiert seine beste Seite (wobei wir ihm hier sogar noch Ehrlichkeit unterstellen. Er kann ja auch schlicht faken). Und selbst wenn es nicht selektiert oder gefaket ist, so vergleichen wir uns doch ständig mit den Besten der Welt. Wer von uns folgt nicht den Helden seines Sports oder der emanzipierten Unternehmerin? Auch das ist ungünstig. Es mag zwar unter dem Deckmantel der Inspiration geschehen und es ist sicherlich auch gut, sich Vorbilder zu nehmen und zu schauen, was menschenmöglich auf einem Gebiet ist. Doch gleichzeitig ist es ein Aufwärtsvergleich. Die Hierarchien des Internets ist steiler als El Capitan.

    El Capitan (5)

    Auch der Algorithmus manipuliert uns, denn er weiß um unsere Schwächen.(6) Er kennt die emotionalen Knöpfe, die gedrückt werden müssen, um unser Engagement zu erzeugen. Welche Posts muss er uns zuspielen? Dies ist kein gesunder sozialer Wettbewerb, denn er findet nicht mit realen Menschen in unserem Umfeld statt, sondern mit Avataren des Internets. Unserer Psyche ist das egal. Sie reagiert auf sozialen Stimuli empfindlich. Und dieser soziale Vergleich findet ständig statt - immer wenn wir uns die nächste Dosis Instagram oder Youtube geben. Grob gesagt: Wir erniedrigen willkürlich unseren Selbstwert, jeden Tag aufs neue.

    If you're one in a million now, but originated in modern New York, there's twenty of you - and most of us live in cities. What's more, we have become digitally connected to the entire seven billion. Our hierarchies of accomplishment are now dizzingly vertical. (85)

    Dieser ungesunde soziale Vergleich findet laut Peterson nach einem bestimmten Muster ab. Jenes Muster ist eine weitere Form der Manipulation, doch diesmal kommt sie aus uns selbst. Wir neigen zu schwarz/weiß-Denken. Sogar zu schwarz/weiß-Denken in künstlichen Kategorien. Peterson benennt die Vorgehensweise des inneren Kritikers, wenn dieser uns einem ungünstigen Vergleich unterzieht.

    1.) "[the inner critic] selects a single, arbitrary domain of comparison"
    2.) "it acts as if that domain is the only one that is relevant"
    3.) "it contrasts you unfavourably with some truly stellar, within that domain"
    optional 4.) "using the unbridgeable gap between you and its target of comparison as evidence for the fundamental unjustice of life. That way your motivation to do anything at all can be most effectively undermined"

    Nirgends ist eine solche Form des inneren Vergleichs einfach als im Internet. Lasst uns zwei Beispiele betrachten. Peter spielt seit 8 Jahren Geige. Er schaut Videos von Lindsey Stirling. Es werden ihm weitere Videos von Violinisten empfohlen. Alle deutlich besser als Peter. Da ist auch ein Video von einer 12-Jährigen, die besser Geige spielt, als er es jemals wird. Auch wenn er besser Geige spielen kann als alle seine Freunde fühlt er sich nicht gut genug. Er vergleicht sich mit Lindsey Stirling, aber nur darin, wie gut sie Geige spielt. Weil nur das zählt! Peter überzeugt sich, dass sein Wert sich aus der Hierarchie der Violinisten ableitet. Er hat an der Geige alles gegeben und ist doch vergleichsweise ein Loser. Nach diesem Vergleich fühlt er sich reudig.

    Marianne macht Kniebeugen. Sie übt fleißig. 65kg wiegt die Stange schon, das entspricht etwa ihrem Körpergewicht. Nichtmal die Jungs in ihrem Umfeld beugen so viel. Zwecks Inspiration folgt Marianne einigen Powerlifterinnen bei Instagram. Eine Amateurin dort beugt 150kg bei einem Körpergewicht von 59kg.(7) Marianne investiert ihr Herzblut ins Krafttraining, aber scheinbar zahlt es sich nicht aus. Scheinbar zahlt sich nie etwas in ihrem Leben aus. Sie sieht darüber hinweg, dass sie sich erst so fühlt, seitdem sie einen Account bei Instagram hat.

    Sich selbst auf die beschrieben Weise in den steilen Dominanzhierarchien der globalisierten Welt zu messen führt in der Regel zu einem niedrigen Selbstwert erstens, und zu Verbitterung ("resentment") zweitens. Beides geht mit zahlreichen negativen Nebenwirkungen einher. "Doch was ist die Alternative?", mögen wir einwenden. Wir haben doch gelernt, der Selbstwert sei über den Status tief in unser neurobiologisches System eingegraben. An dieser Stelle schlägt Peterson zwei Alternativen vor: Erstens, gründe deine eigene Hierarchie, und zweitens, vergleiche dich mit deinem gestrigen Selbst.

    Die Begründung einer eigenen Hierarchie basiert auf dem Gedanken, dass Erwachsene nicht zu vergleichen sind. Niemand spielt nur das Spiel um die oberen Plätze einer Hierarchie. Da ist die Karriere, ja, aber da sind auch Freunde und Familie, persönliche Projekte, side hustles, athletische Ziele, und oder künstlerische. Da sind deine ganz persönlichen Stärken, deine ganz persönlichen Schwächen, deine ganz persönliche Vergangenheit. Ab einem gewissen Alter ist ein Vergleich mit anderen schlicht nicht mehr angemessen.

    Finally you might come to realize that the specifics of the many games you are playing are so unique to you, so individual, that comparison to others is simply inappropriate. (88)

    Peter wird sich bewusst, dass er zwar nicht so gut Geige spielt wie Lindsey Stirling, aber als er sich alte Aufnahmen anhört, stellt er fest, dass er sich doch Jahr für Jahr deutlich verbessert hat. Außerdem ist er ein passabler Langstreckenläufer. Nebenbei studiert er Physik und die Noten sind vielversprechend. Marianne arbeitet Vollzeit als Tischlerin. Man sagt ihr nach, dass ihre Vollholzmöbel von alter Qualität sind. Abends nach der Arbeit ist sie manchmal erschöpft, aber sie geht trotzdem ins Gym. Ihre Fortschritte sind nicht schnell, aber stetig. Am Wochenende kümmert sie sich um ihren Neffen.

    Daraus folgt: Es bleibt nur, dich mit dir selbst zu vergleichen - und zwar mit deinem vergangenen Selbst. Bist du besser als noch vor einem Jahr? Arbeitest du aktiv daran, dein Leben und deine Situation zu verbessern? Deinen Status zu erhöhen? Welche Spiele spielst du? Was sind deine Ziele? Diese Herangehensweise ist wesentlich cleverer, weil sie nicht in Selbstmitleid und einer verbitterten Lebenseinstellung endet.

    Doch wie schaffe ich es, mein Leben zu verbessern? Wie schneide ich beim Vergleich mit dem eigenen vergangen Selbst positiv ab? Dieser Frage widmet Peterson den Rest des Kapitels. Dabei rollt er die Basics auf - er fängt ganz von vorne an. Doch, ich denke, auch fortgeschrittene Lebenswandler können etwas mitnehmen, und wenn es nur ein Reminder ist.

    Man kann beginnen, in dem man die eigene Verbitterung (original: resentment) reflektiert. An welchen Stellen schluckt man Wut herunter? Wo fühlt man sich ungerecht behandelt, von Personen des eigenen Umfelds zum Beispiel, oder auch vom Schicksal selbst? Wo wird man gezwungen oder zwingt man sich selbst, Dinge zu tun, die man verabscheut? Wann hasst man sich selbst? Wann hasst man die Welt? Was man dabei herausfindet, mag einem lächerlich erscheinen. Sagen wir, ich bemerke, dass ich mein Schicksal immer dann verfluche, wenn mal etwas nicht so gut läuft, wie ich es mir erhofft habe. Das ist kindisch. Doch Einsicht und darauffolgend Akzeptanz ist der entscheidende erste Schritt der Veränderung. Negiere ich die Ergebnisse meiner Reflexion, kann kein Wachstum stattfinden.

    The curious paradox is that when I accept myself just as I am, then I can change.” -- Carl Rogers

    Verbitterung speist sich laut Peterson aus zwei möglichen Quellen: Unreife und Tyrannei. Tyrannei muss dabei nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Tyrann eine andere Person ist. Man kann auch wie ein Tyrann mit sich selbst umgehen. Das ist die Schattenseite der Disziplin und des Gehorsams: innerer Zwang, der nicht gutes bewirkt, sondern Teile deiner Seele abspaltet und dein Selbstvertrauen vermindert. Wer sich selbst einer Tyrannei unterwirft, immer und immer wieder, dessen Selbstvertrauen wird zerbröckeln und der Furcht vor sich selbst weichen. Wer ist schon gerne ständig jemandem ausgeliefert, von dem man Gewalt und Zwang befürchten muss. Das sind oft Personen, die "nicht gut alleine sein" können. Sie fürchten sich - vor sich selbst. Und wagen nicht, aufzustehen und das Wort zu erheben.

    Consult your resentment. It's a relevatory emotion [...] But resentment always means one of two things. Either the resentful person is immature, in which case he or she should shut up, quit whining, and get on with it, or there is tyranny afoot - in which case the person subjugated has a moral obligation to speak up. Why? Because the consequence of remaining silence is worse. Of course, it's easier in the moment to stay silent and avoid conflict. But in the long term, that's deadly. When you have something to say, silence is a lie - and tyranny feeds on lies. (91)

    Nachdem man sich gegen die eigene Verbitterung gewehrt hat, schaut man, wo man eigentlich steht. Das ist einfacher gesagt als getan. Es verlangt Mut. Denn beim Prozess der Selbstreflexion lernt man sich kennen - mitsam allen persönlichen Schwächen, dunklen Gelüsten und Widersprüchen. Und wenn man von Null anfängt, mögen das eine ganze Menge sein. Auch die Stärken versucht man kennenzulernen, die Persönlichkeit. Doch wir haben einen negative bias, und uns werden Dinge an uns auffallen, und Verhältnisse in unserem Leben, die uns nicht gefallen. Dort setzen wir an.

    Wir versuchen etwas zu finden, das wir in Ordnung bringen wollen, das wir in Ordnung bringen können, und das wir in Ordnung bringen würden. Dabei zielen wir auf etwas ab, das uns etwas bedeutet. Es ist wichtig, dass wir unserem Streben eine Richtung geben, die uns wertvoll erscheint. "You aim at what you value", schreib Peterson. Und dann, bescheiden, setzen wir ein kleines Ziel. Klein genug, für den Anfang, erreichbar. Wie finden wir solche kleinen ungeordneten Verhältnisse in unserem Leben?

    You can find such somethings by asking yourself (as if you genuinely want to know) three questions: "What is it that is bothering me?" "Is that something I could fix?" and "Would I actually be willing to fix it?" If you find the answer is "no", to any or all of the questions, then look elsewhere. Aim lower. Search until you find somehting that bothers you, that you could fix, that you would fix, and then fix it. That might be enough for the day. (108)

    Durchläuft man den hier beschriebenen Prozess setzt man Ziele. Wenn das Ziel erreicht ist, dann gilt es, sich selbst fair dafür zu belohnen. Man solle sich vorher fragen, welche Belohnung einen selbst ausreichend motivieren würde, etwas zu tun. Ganz ehrlich, ganz direkt. Und man solle sich diese Belohnung auf jeden Fall danach zugestehen, komme was wolle. Andernfalls erschüttere das das zarte Selbstvertrauen. Peterson beschreibt diesen inneren Monolog als negotiation - Verhandlung.

    You cannot aim yourself at anything if you are completely undisciplined and untutored. (102)

    Fassen wir also zusammen: Man erforscht die eigene Natur; man setzt Ziele, um das Leben besser zu machen, das Leid zu minimieren; man tritt mit sich selbst in produktiven Kontakt, man verhandelt, statt zu befehlen; man unterwirft sich einer freiwilligen Selbstdisziplin, ohne sich dabei wie ein Sklave zu behandeln; man vergleicht sich nicht mit den Erfolgen anderer Menschen, sondern mit dem eigenen vergangenen Selbst. Schritt für Schritt, nach und nach, verbessert man seine Situation. Wer sich so verhält, dem stünden die Götter bei, sagt Peterson. Man beginnt langfristig zu denken: Man verhält sich gut und diszipliniert, weil es langfristig weniger Leiden bedeutet - nicht weil man "muss" oder "sollte".

    An dieser Stelle schlagen wir den Bogen zurück zur Low Information Diet. Um den obigen Prozess zu durchlaufen, braucht man Zeiten der Reflexion. In sich hinein horchen. Sich selbst erleben. Die ureigene Stimme braucht Stille, um gehört zu werden. Dieser Prozess erfordert Aufmerksamkeit. Soziale Medien und Unterhaltung und zügelloser Informationskonsum machen die erforderliche Stille unmöglich und ziehen die Aufmerksamkeit ab.

    Wie soll ich mich selbst hören, in all dem Lärm?

    Wie soll ich mich wertvoll finden, wenn ich mich ständig erniedrige?

    Zuerst mag es keinen so großen Unterschied machen. Dann bleiben eben zwei kleine Dinge ungeordnet, die einen stören. Man geht halt mal dem einem Konflikt aus dem Weg. Dann geht man heute eben nicht zum Training. Man verschiebt das Geige üben auf morgen. Dort liegt der Denkfehler! Genau diese kleinen Schritte, genau sie machen den Unterschied aus! Alles, worüber wir nachgedacht haben, fußt auf einem kontinuierlichem Streben danach, eine bessere Version seiner selbst zu werden und seine Schatten hinter sich zu lassen. Wer ständig aufs Smartphone schielt ist blind. Er sieht den Schatten nicht, wenn dieser schon den Dolch an seine eigene Kehle gesetzt hat.

    Also: Ja, diese kleinen Schritte machen einen Unterschied! Sie sind nicht sexy, du kannst mit ihnen nicht auf Instagram flexen! Man nimmt die Fortschritte von Tag zu Tag kaum wahr. Doch kleine Schritte akkumulieren. Lebt man nach der Philosophie Petersons, ist man in drei Jahren ein anderer Mensch.

    And, with each day, your baseline of comparison gets a little higher, and that's magic. That's compound interest. Do that for three years, and your life will be entirely different. (96)

    Marianne beginnt mit 40kg inklusive der Langhantel. Sie macht drei Einheiten pro Woche. Sie packt drei Jahre lang jeden Monat 5kg auf ihre Beuge. Viel erscheint das nicht: Jede 12. Einheit eine Steigerung von 5kg. In drei Jahren beugt sie 220kg. Ok, nein, tut sie nicht. Aber die Rechnung verdeutlicht das Potential der kleinen Schritte. @Sascha hat mal sinngemäß gesagt: Man überschätzt für gewöhnlich, was man an einem Tag oder in einer Woche schaffen kann; doch man unterschätzt, was man in einem Jahr schaffen kann. Es gibt keine Abkürzungen, nur den langen Weg der tausend kleinen Schritte. Finde dich damit ab.

    Und leg das Smartphone weg.



    1. [project log] Johannes' Low Information Diet Januar 2021 ↩︎

    2. Peterson, J. B. (2018). Twelve Rules for Live. An Antidote to Chaos. Toronto: Random House Canada. ↩︎

    3. Fast, S. (2018). Selbstwert II. Serotonin und Status. Abgerufen unter: me-improved.de/selbstwert-ii-serotonin-und-status. ↩︎

    4. meine Lesennotizen zu obigem ↩︎

    5. Bildquelle: yosemite.com/what-to-do/el-capitan/ ↩︎

    6. Mehr dazu hier in den Lesenotizen zu Jason Laniers Ten arguments for deleting your social media accounts right now. ↩︎

    7. Ich beziehe mich auf Sarah Jo, die ich einfach willkürlich gegooglet habe. Es gibt bestimmt noch krassere Beispiele. instagram.com/p/CEP0cJnhPKj/ ↩︎

  • Moore, A. & Lloyd, D. (2005). V for Vendetta. Burbank: DC Comics.

    Europa gibt es nicht mehr. Anfang der 1990er Jahre haben sich Amerikaner und Russen gegenseitig mit nuklearen Waffen ausgelöscht. Doch England hat überlebt.(1) Nach einer Zeit der Unruhen haben sich die Menschen in den Faschismus hinabgleiten lassen. Ende 1997 ist England zu einem Polizei- und Überwachungsstaat verkommen. Alle Medien verbreiten die Propaganda des Regimes, in Konzentrationslagern werden Homosexuelle, Schwarze und politische Gegner zu medizinischen Versuchen missbraucht, und das kulturelle Erbe Europas wurde vernichtet.

    Der Diktator dieses Regimes ist Mr. Adam James Susan, ein leidenschaftlicher Faschist. Seine Machtposition wird nicht in Frage gestellt. Zusammen mit einer allwissenden Überwachungsmaschine, die Fate heißt, regiert er England. Seine Herrschaft basiert auf Angst und Respekt - nicht auf Liebe. Mr. Susan behauptet nie geliebt worden zu sein. Dabei ist er selbst unsterblich in Fate verliebt und hofft, dass sie seine Liebe erwidert. Zu Beginn führt Mr. Susan einen eindrucksvollen Monolog darüber, warum er Faschist ist.

    FASCISM... STRENGTH IN UNITY. I BELIEVE IN STRENGTH. I BELIEVE IN UNITY. AND IF THAT STRENGTH, THAT UNITY OF PURPOSE, DEMANDS A UNIFORMITY OF THOUGHT, WORD AND DEED THEN SO BE IT. I WILL NOT HEAR TALK OF FREEDOM. I WILL NOT HEAR TALK OF INDIVIDUAL LIBERTY. THEY ARE LUXURIES. I DO NOT BELIEVE IN LUXURIES.

    V ist ein anarchistischer Terrorist. Er selbst war Insasse einer der Konzentrationslager - und er hat eine Rechnung mit all jenen offen, die ihm dort Leid zugefügt haben. Maskiert mit einer Guy Fawkes-Maske beginnt V seinen alleinigen Rachefeldzug gegen das totalitäre Regime. Sein Ziel: Die Zerstörung der Diktatur, die Zerstörung des faschistischen Gedankenguts, das Wachrütteln und befreien der zu blinden Schafen verkommenden Menschen.

    Das will V mit Gewalt erreichen, mit Mord und mit Attentaten. Ausgehend von seinem Wohnort, der Shadow Gallery, operiert V in London. Er mordet gezielt regimetreue Handlanger und sprengt Wahrzeichen der faschistischen Idee in die Luft. Gleich in der ersten Szene erlebt der Big Ben seine letzte Stunde. Shakespeare zitierend beobachtet V von den Dächern Londons, wie in der Nacht des 5. Novembers das Feuer aus der Ruine des Londoner Wahrzeichens lodert.(2)

    Gleiches geschieht mit der Justice Statue auf dem Old Bailey. Zuvor führt V mit der Statue ein Gespräch. Als Kind habe er sie noch geliebt, sagt er, doch dann sei sie ihm fremd gegangen. Die Gerechtigkeit habe ihn mit dem Regime betrogen. Auch er habe inzwischen eine neue Liebe, offenbart V: Den Anarchismus.

    SOB CHOKE! WH-WHO IS SHE, V? WHAT IS HER NAME?
    HER NAME IS ANARCHY. AND SHE HAS TAUGHT ME MORE AS A MISTRESS THAN YOU EVER DID! SHE TAUGHT ME THAT JUSTICE IS MEANINGLESS WITHOUT FREEDOM. SHE IS HONEST: SHE MAKES NO PROMISES AND BREAKS NONE. UNLIKE YOU, JEZEBEL. (41)

    Der Anarchismus hat zwei Spielarten, so Vs Theorie: Die Zerstörung und den Aufbau. Erst müsse die alte Weltordnung zerbrochen werden. Das sei die Aufgabe der Zerstörer, zu denen sich V zählt. Danach könne der Aufbau einer neuen Weltordnung stattfinden, in der die Menschen den Mut haben, als mündige Individuen die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich selbst zu regieren. Anarchie sei nicht das Fehlen von Ordnung, sondern das Fehlen von. In dieser neuen Weltordnung habe der Zerstörer dann keinen Platz mehr. Es sei Zeit für Frieden.

    ANARCHY WEARS TWO FACES, BOTH CREATOR AND DESTROYER.
    THUS DESTROYERS TOPPLE EMPIRES, MAKE A CANVAS OF CLEAN RUBBLE WHERE CREATORS THEN CAN BUILD A BETTER WORLD.
    RUBBLE, ONCE ACHIEVED MAKES FURTHER RUIN'S MEANS IRRELEVANT.
    AWAY WITH OUR EXPLOSIVES THEN! AWAY WITH OUR DESTROYERS! THEY HAVE NO PLACE WITHIN OUR BETTER WORLD...
    BUT LET US RAISE A TOAST TO ALL OUR BOMBERS, ALL OUR BASTARDS, MOST UNLOVELY AND MOST UNFORGIVEABLE.
    LET'S DRINK THEIR HEALTH...
    ...THEN MEET WITH THEM NO MORE. (248)

    V for Vendetta ist ein meisterlich gestaltetes Graphic Novel. Zurecht wird es als eine der höchsten Errungenschaften seines Mediums angesehen. Es hat mich ungewöhnlich gefesselt. Jeder literarische Kunstgriff wird ausgespielt, jede Stärke des Genres wird ausgekostet. Der Stil enthält recht viel Schwarz, die Atmosphäre ist düster und gewaltig. Ich hänge zwei Bilder an.


    @Daniel



    1. Das Original V for Vendetta erschien ab 1982. 1988 gibt Alan Moore zu, dass es naiv war, anzunehmen, dass irgendein Fleck der Erde einen nuklearen Weltkrieg überstanden hätte. ↩︎

    2. Der 5. November ist kein zufällig gewähltes Datum. Am Fifth of November 1605 fand die Pulververschwörung statt, ein gescheiterter Versuch, die protestantischen König Jakob I. und alle Parlamentarier zu ermorden. Der zuständige Sprengmeister war Guy Fawkes, deren Maske V also nicht zufällig trägt. ↩︎

  • Schamoni, P. (1986). Caspar David Friedrich. Grenzen der Zeit. Peter Schamoni Filmproduktion/DEFA-Studio.

    Peter Schamoni und einem exzellenten Kameramann Gérard Vandenberg ist es gelungen, in Filmbildern, die in Gemälde Friedrichs überblenden, die Landschaften kongenial wiederzufinden, neu zu schaffen, die Friedrich einst inspirierten - Pommern - Ostseeküste - Insel Rügen. -- Süddeutsche Zeitung

    Peter Schamonis Dokumentarfilm Grenzen der Zeit über den Maler Caspar David Friedrich ist halb Schauspiel, halb Landschaftsfilm. Auch wenn ich dem obigen Zitat aus der Süddeutschen Zeitung zustimme, trifft es nicht den Kern. Das Wesentliche dieses Films ist nämlich, dass er selbst wie ein Gemälde Friedrichs wirkt.1

    In den geschauspielerten Szenen trifft Friedrich selbst nie auf, vielmehr werden durch Personen seines Umfelds Aussagen über ihn getroffen. Da spricht seine Familie, sein Freund Carl Gustav Carus, aber auch zeitgenössische Künstler. Dabei wird seine Familie naiv dargestellt, die zeitgenössischen Künstler feindselig, Carus hingegen als Verteidiger Friedrichs, dessen Kunst man zu seinen Lebzeiten nicht gewürdigt hatte. Es wird deutlich, dass Friedrich, der heute als bedeutendster Maler der deutschen Frühromantik gilt, in seiner Zeit als Mystiker und Träumer abgetan wurde. Nur wenige erkannten die Grenzen ihrer eigenen Zeit - und dass Friedrich diese überwunden hatte.

    Die Grenzen der Zeit (1986) ist ein Film der alten Schule. Das mag zunächst etwas ungewohnt sein. Wir sehen lange Schnittbilder, ruhige Szenen, und langatmige Dialoge, denen die Aufmerksamkeitsspanne des heutigen Publikums wohl kaum mehr gewachsen ist. Der Film plätschert 81min dahin - und man muss aufpassen, etwas eigenen Hirnschmalz benutzen, um seine Botschaften zu verstehen. Wer sich darauf einlassen kann, sieht einen gelungenen Landschaftsfilm, ein kleines Kunstwerk selbst.

    Denn der Film selbst wirkt wie ein Gemälde von Friedrichs. Die Videografen haben die Landschaften besucht, die Friedrich zu seinen Bildern inspiriert haben. Dort haben sie Aufnahmen gedreht, bei denen man oft erst versteht, dass es sich um eine Filmaufnahme und kein Gemälde handelt, wenn sich die Wolken bewegen. Diese Aufnahmen sind das stärkste Argument gegen Friedrich Widersacher. Behaupteten diese doch, Friedrich verkläre die Natur und projiziere seine Empfindungen hinein, so wird nun deutlich: Hat er nicht. Die Natur liegt fast genau so da, wie Friedrich sie dargestellt hat. Und das würde man wissen, wenn man draußen wäre.

    Friedrich war viel draußen in der Natur. Er hat oft wochenlange Wanderungen unternommen - allein. Er brauchte die Einsamkeit, um die Natur in sich aufzunehmen, sie ganz auf sich wirken zu lassen. Einmal hat er über eine Woche lang unter einem Fels geschlafen. Das weiß man aus Tagebucheinträgen. Denn auch wenn Friedrich selbst nicht auftaucht, so spricht er doch zum Zuschauer: Manchmal werden seine Tagebucheinträge verlesen, während man auf die Nebellandschaft der Sächsischen Schweiz schaut, oder vor Rügen den Wellen lauscht.



    1. Über Friedrich habe schonmal etwas geschrieben. Dort sind auch Bilder beigefügt. Siehe hier meine Lesenotizen zu Friedrich. Der Maler der Stille (2019) von Robert Wolf. ↩︎

  • Hardy, T., Knight, S. & Hardy, C. (2017). Taboo.

    Wir befinden uns im Jahre 1814, der zweite Unabhängigkeitskrieg tobt. Ein Brite stirbt, dem ein strategisch wichtiges Stück Land im Norden Amerikas gehört. James Keziah Delaney ist ein tot geglaubter Mann, der aus Arfika nach London zurückkehrt, um sein Erbe anzutreten. "Antreten" ist kein Wort, das dem gerecht wird, was Delaney darunter versteht, seine Angelegenheiten zu regeln. Rücksichtslos setzt er sich durch. Er navigiert durch ein Wirrwarr politischer, sexueller und animalischer Interessen. Delaney geträt zwischen die Fronten des Britisch-Amerikanischen Krieges, auf die Abschussliste der mächtigsten Firma der Welt - und zwischen eine brüchige Ehe. Es geht ihm um sein Erbe, seine Rache, seine Liebe und seinen eigenen Vorteil. Das zumindest denkt man bis zum Schluss...

    Ich finde keine Worte für diesen Mann und diese 8 Folgen schmale Serie. So wie ich auch nie Worte für Tom Hardy gefunden habe. Tom Hardy ist James Keziah Delaney. Taboo ist komplex, dunkel, animalisch und brutal. Sie handelt von Geschwisterliebe, Hinrichtungen, Politik und Geisteskrankheit.1 Sie handelt von einem freien und gnadenlosen Mann und einem Unterfangen, bei dem man entweder gewinnt - oder stirbt.

    James Delaney (rechts) beißt in eine Zwiebel. Links sieht man den Diener Brace



    1. Die Geschichte von James Delaney ist auch eine Geschichte über den Umgang mit psychischen Störungen. Delaney hat visuelle Halluzinationen und akustische Eingebungen. Er erzählt, er habe dies bei seinem Abschied von England als Irrsinn aufgefasst, aber in Afrika gelernt, dass es keine Krankheit, sondern eine Gabe sei. Seine Mitmenschen behandeln Delaney wie einen Irren, doch er selbst zieht Nutzen und Selbstbewusstsein aus seiner "Geisteskrankheit". Sie ist sogar gewissermaßen Teil seiner Spiritualität. Das hat mich tief bewegt. ↩︎

  • bearbeitet Mai 2021

    Das Lied von Eis und Feuer

    In diesem Post trage ich die Einträge zu George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer zusammen. Ich sammle Teststellen, die mich bewegen. Kommentare verkneife ich mir aber. Ich könnte stundenlang über Das Lied von Eis und Feuer und Game of Thrones philosophieren, doch das allgemeine Interesse daran scheint mir eher begrenzt.

    Im Januar 2021 habe ich mit dem ersten Band angefangen. Die Bücher besitzen, wie zu erwarten, eine andere Tiefe als die Serie. Die Charaktere formen sich in meinem Kopf neu, werden dreidimensionaler. Die Umrisse von Westeros und seiner Kultur werden schärfer. Es bildet sich ein historischer Kontext, der mich an sich interessiert, der aber das abgehandelte politische Geschehen noch anreichert. Gierig sauge ich die Details auf. Für mich ist der Epos beste Unterhaltung und Inspiration.

    Martin, G. R. R. (2010). Das Lied von Eis und Feuer. Die Herren von Winterfell. München: blanvalet.

    "Robb sagt, der Mann sei tapfer gestorben, aber Jon sagt, er hätte sich gefürchtet."
    "Was glaubst du?", fragte sein Vater.
    Bran dachte darüber nach. "Kann ein Mann tapfer sein, auch wenn er sich fürchtet?"
    "Das ist der einzige Moment, in dem er tapfer sein kann", erklärte ihm sein Vater. "Verstehst du, warum ich es getan habe?"
    "Er war ein Wildling", sagte Bran. "Sie verschleppen Frauen und verkaufen sie den Anderen."
    Sein hoher Vater lächelte. "Die alte Nan hat euch wieder Geschichten erzählt. In Wahrheit war der Mann ein Eidbrüchiger, ein Deserteur aus der Nachtwache. Niemand ist gefährlicher. Der Deserteur weiß, das sein Leben verwirkt ist, wenn er gefasst wird, daher wird er vor keinem Verbrechen zurückschrecken, so schändlich es auch sein mag. Doch du missverstehst mich. Die Frage ist nicht, warum der Mann sterben musste, sondern warum ich es tun musste."
    Darauf wusste Bran keine Antwort. "König Robert hat einen Henker", sagte er unsicher.
    "Das stimmt", bestätigte sein Vater. "Wie alle Könige der Targaryen vor ihm. Doch unsere Tradition ist die ältere. Das Blut der ersten Menschen fließt noch heute in den Adern der Starks, und wir halten an dem Glauben fest, dass ein Mann, der ein Urteil spricht, auch selbst das Schwert führen soll. Wenn du jemandem das Leben nehmen willst, bist du es ihm schuldig, ihm in die Augen zu blicken und seine letzten Worte zu hören. Wenn du es nicht ertragen kannst, dann verdient der Mann vielleicht auch nicht den Tod. [...] Ein Herrscher, der sich hinter bezahlten Henkern versteckt, vergisst bald, was der Tod bedeutet." (22)

    Sie waren sich an der Furt des Trident begegnet, während um sie herum die Schlacht tobte, Robert mit seinem Streithammer und dem großen Geweihhelm, der Targaryen ganz in schwarzer Rüstung. Auf seiner Brustplatte war der dreiköpfige Drache seines Geschlechts zu sehen, mit Rubinen überzogen, die im Sonnenlicht wie Feuer blitzten. Rot färbten sich die Fluten des Trident um die Hufe ihrer Rösser, als sie einander umkreisten und aufeinanderprallten, wieder und immer wieder, bis endlich ein berstender Hieb von Roberts Hammer den Drachen und die Brust darunter traf. Als Ned schließlich hinzukam, lag Rhaegar tot im Storm, während Männer beider Armeen in den tosenden Fluten nach den Rubinen schwarrten, die aus seinem Panzer gebrochen waren.
    "In meinen Träumen töte ich ihn jede Nacht", gestand Robert. (57)

    Nimm einen Ratschlag von mir an, Bastard", sagte Lennister. "Vergiss nie, was du bist, denn die Welt wird e ganz sicher nicht vergessen. Mach es zu deiner Stärke, dann kann es niemals deine Schwäche sein. Mach es zu deiner Rüstung, und man wird dich nie damit verletzen können."
    Jon war nicht in der Stimmung, Ratschläge anzunehmen. "Was wisst ihr davon, wie es ist, ein Bastard zu sein?"
    "Alle Zwerge sind Bastarde in den Augen ihrer Väter."
    "Ihr seid der Sohn Eurer Mutter, ein echter Lennister."
    "Bin ich das?", erwiderte der Zwerg boshaft. "Erzähl das meinem Vater. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, und so konnte er nie sicher sein."
    [...]
    "Vergiss eins nicht, Junge. Alle Zwerge könnten Bastarde sein, doch nicht alle Bastarde müssen Zwerge sein." Und mit diesen Worten wandte er sich um und schlenderte zum Fest zurück , wobei er ein Lied vor sich hin pfiff. Als er die Tür öffnete, warf das Licht von drinnen seinen Schatten deutlich in den Hof, und nur für einen Augenblick war Tyrion Lennister groß wie ein König. (75)

    Der Abstieg war steil und steinig, doch Dany ritt furchtlos, und Freude und Gefahr waren wie ein Lied in ihrem Herzen. (289)

    [...] als sie in jener Nacht einschlief, träumte sie wieder diesen Drachentraum. Diesmal kam Viserys nicht darin vor. Nur sie und der Drache. Seine Schuppen waren schwarz wie die Nacht, schimmerten feucht vom Blut. Ihrem Blut, wie Dany spürte. Seine Augen waren Lachen von geschmolzenem Magma, und wenn er sein Maul öffnete, brüllte die Flamme mit heißem Strahl hervor. Sie konnte hören, wie er für sie sang. Sie breitete die Arme aus, umarmte das Feuer, ließ sich von ihm umfangen, ließ sich putzen und härten und polieren. Sie fühlte, wie ihr Fleisch verbrannte und verkohlte und sich ablöste, fühlte, wie ihr Blut verkochte und verdampfte, und doch spürte sie keinen Schmerz. Sie fühlte sich stark und neu und wild. (290)

    Er träumte einen alten Traum von drei Rittern in weißen Umhängen und einem lang schon eingestürzten Turm und Lyanna in ihrem Bett von Blut.
    In diesem Traum ritten seine Freunde mit ihm, wie sie es zu Lebzeiten getan hatten. Der stolze Martyn Cassel, Jorys Vater; der treue Theo Wull; Ethan Glover, der Brandons Schildknappe gewesen war; Ser Mark Ryswell, von weicher Stimme und sanftem Herzen; der Pfahlbaumann Howland Reet; Lord Dustin auf seinem großen, roten Hengst. Ned hatte ihre Gesichter so gut gekannt, wie er einst sein eigenes gekannt hatte, doch die Jahre saugen das Blut aus den Erinnerungen eines Mannes, selbst aus solchen, die er geschworen hat, niemals zu vergessen. Im Traum waren sie nur Schatten, graue Geister auf Pferden, die aus bloßem Dunst bestanden.
    Sie waren zu siebt und standen dreien gegenüber. Im Traum, ganz wie es im Leben gewesen war. Doch waren diese keine gewöhnlichen drei. Sie warteten vor dem runden Turm, die roten Berge von Dorne im Rücken, die weißen Umhänge flatterten im Wind. Und diese waren keine Schatten, ihre Gesichter strahlten hell, selbst jetzt noch. Ser Arthur Dayne, das Schwert des Morgens, trug ein trauriges Lächeln auf den Lippen. Das Heft des Großschwerts Dämmerung ragte über seiner rechten Schulter auf. Ser Oswell Whent kniete am Boden, schärfte seine Klinge mit einem Wetzstein. Über seinem weiß emaillierten Helm breitete die schwarze Feldermaus seiner Familie die Flügel aus. Zwischen ihnen stand der grimmige alte Ser Gerold Hohenturm , der Weiße Bulle, Kommandant der Königsgarde.
    "Ich habe euch am Trident gesucht", sagte Ned zu ihnen.
    "Wir waren nicht dort", antwortete Ser Oswell.
    "Wehe dem Usurpator, wenn wir es gewesen wären", sagte Ser Oswell.
    "Als Königsmund fiel, hat Ser Jaime Euren König mit einem goldenen Schwert erschlagen, und ich habe mich gefragt, wo ihr wart."
    "Weit fort", sagte Ser Gerold, "sonst würde Aerys noch auf dem eisernen Thron sitzen und Euer falscher Bruder in den sieben Höllen brennen."
    "Ich kam von Sturmkap herab, um die Belagerung aufzuheben", erklärt Ned ihnen, "und die Lords Tyrell und Rothweyn neigten ihre Banner zum Gruße, und all ihre Ritter fielen auf die Knie, um uns Treue zu schwören. Ich war mir sicher, ihr würdet unter ihnen sein."
    "Unsere Knie beugen sich nicht so leicht.", sagte Ser Arthur Dayne.
    "Ser William Darry ist nach Drachenstein geflohen, mit eurer Königin und Prinz Viserys. Ich dachte, Ihr wäret vielleicht mit ihnen gesegelt."
    "Ser Willem ist ein guter und wahrer Mann", sagte Ser Oswell.
    "Doch nicht von der Königsgarde", hob Ser Gerald hervor. "Die Königsgarde flieht nicht."
    "Damals wie heute", sagte Ser Arthur. Er setzte seinen Helm auf.
    "Wir haben einen Eid abgelegt", erklärte der alte Ser Gerold.
    Neds Geister traten neben ihn, mit Schattenschwertern in Händen. Sie waren sieben gegen drei.
    "Und hier beginnt es", sagte Ser Arthur Dayne, das Schwert des Morgens. Er zog Dämmerung aus der Scheide und hielt es mit beiden Händen. Die Klinge war fahl wie Milchglas, wie lebendig im Licht.
    "Nein", sagte Ned mit Trauer in der Stimme. "Hier endet es."
    Als sie in einem Rausch von Stahl und Schatten aufeinanderstießen, hörte er Lyanna schreien. "Eddard", rief sie. Ein Sturm aus Rosenblättern wehte über einen blutdurchstreiften Himmel, blau wie die Augen des Todes.
    [...]
    Martyn Cassel war mit den anderen gefallen. Später hatte Ned den Turm eingerissen und mit dessen blutigen Steinen acht Gräber auf dem Hügel aufgeschichtet. Es hieß, Rheagar habe diesen Ort den Turm der Freude genannt, doch für Ned bot er nur eine bittere Erinnerung. Sie waren sieben gegen drei gewesen, doch nur zwei von ihnen hatten überlebt. Eddard Stark und der kleine Pfahlbaumann Howlant Reet. (537)

    Martin, G. R. R. (2010). Das Lied von Eis und Feuer. Die Herren von Winterfell. München: blanvalet.

    "Ich erinnere mich, dass ich einmal Maester Luwin gefragt habe, warum er eine Kette um den Hals trägt."
    Maester Aemon berührte seine eigene Kette, und eine seine knochigen alten Finger strichen über die schweren Metallglieder. "Weiter"
    "Er hat mir erklärt, das Ordensband eines Maesters bestehe aus einer Kette von einzelnen Gliedern, die ihn daran erinnern sollen, dass er zum Dienen vereidigt ist", sagte Jon nachdenklich. "Ich habe ihn gefragt, warum jedes Glied aus anderem Metall besteht. Eine Silberkette würde viel besser zu seinem grauen Gewand passen, habe ich ihm gesagt. Maester Luwin lachte. Ein Maester schmiedet seine Kette mit Studien, hat er mir erklärt. Die veschiedenen Metalle stehen für verschiedene Lehren, Gold für die Studien von Geld und Rechnungswesen, Silber für das Heilen. Eisen für die Kriegskunst. Und er sagt, es gebe noch andere Bedeutungen. Das Band soll den Maester an das Reich erinnern, dem er dient, ist es nicht so? Lords sind Gold und Ritter Stahl, aber zwei Glieder sind noch keine Kette. Man braucht dazu noch Silber und Eisen und Blei, Blech und Kupfer, Bronze und den ganzen Rest, und die sind Bauern und Schmiede und Händler und Ähnliches. Eine Kette braucht die unterschiedlichsten Metalle, und ein Land braucht die unterschiedlichsten Menschen."
    Maester Aemon lächelte. "Und?"
    "Die Nachtwache braucht auch die unterschiedlichsten Menschen. Wozu sonst Grenzer, Kämmerer und Baumeister? Lord Randyll konnte aus Sam keinen Krieger machen und auch Ser Allisar kann es nicht. Man kann Blech nicht in Stahl verwandeln, so sehr man es auch schmiedet, doch das bedeutet nicht, dass Blech nutzlos wäre. Warum sollte Sam nicht Kämmerer werden?"
    [...]
    Maester Aemon schloss die Augen, und einen kurzen Moment lang fürchtete Jon, er sei eingeschlafen. Endlich sagte er: "Maester Luwin war dir ein guter Lehrer, Jon Schnee. Dein Verstand ist so kühn wie deine Klinge, so scheint es."

    Wutentbrannt fuhr Jon zu ihm herum. "Ich sehe Ser Allisars verdammtes Werk. Das ist alles, was ich sehe. Er wollte mich beschämen, und es ist ihm gelungen."
    Dareon warf ihm einen Blick zu. "Die Kämmerer sind gut genug für dich und mich, Sam, aber nicht für Lord Schnee."
    "Ich bin mit Schwer und Pferd besser als ihr alle zusammen", schrie Jon zurück. "Das ist nicht gerecht!"
    "Gerecht?", höhnte Dareon. [...]
    "Es ist keine Schande, ein Kämmerer zu sein", sagte Sam.
    "Ich habe nicht darum gebeten", sagte [Jon] halstarrig.
    "Keiner von uns ist hier, weil er darum gebeten hat", erwiderte Sam.
    Und plötzlich schämte sich Jon Schnee.
    Memme oder nicht, besaß Samwell Tarly doch den Mut, sein Schicksal wie ein Mann zu nehmen. Auf der Mauer bekommt ein Mann nur das, was er verdient, hatte Benjen Stark an jenem letzten Abend gesagt, an dem Jon ihn lebend gesehen hatte. Du bist kein Grenzer, Jon, nur ein grüner Junge, der noch den Duft des Sommers an sich hat. Er hatte gehört, dass man sagte Bastarde wüchsen schneller als andere Kinder. Auf der Mauer wuchs man, oder man starb.
    Jon stief einen Seufzer aus. "Du hast Recht. Ich habe mich wie ein kleiner Junge benommen." (125)

    Etwa eine Stunde später kam Großmaester Pycelle zu Eddard Stark in sein Solar. Mit hängenden Schultern, als wäre ihm die Last der großen Ordenskette um seinen Hals zu schwer geworden, sagte er: "Mylord, König Robert ist von uns gegangen. Mögen ihn die Götter ruhen lassen."
    "Nein", antwortete Ned. "Er hat die Ruhe gehasst. Mögen ihm die Götter Liebe und Gelächter schenken und die Freude einer aufrechten Schlacht." (130)

    "Beobachten ist nicht gleich sehen, totes Mädchen. Der Wassertänzer sieht. Komm, leg dein Schwert beiseite, und hör mir zu."
    Sie folgte ihm zur Wand hinüber, wo er sich auf einer Bank niederließ. "Syrio Forel war Erster Recke des Seelords von Braavos, und weißt du, wie das zu Stande kam?"
    "Du warst der beste Schwertkämpfer in der Stadt."
    "Das schon, aber warum? Andere Männer waren stärker, schneller, jünger. Wieso war Syrio Forel der Beste? Ich will es dir sagen." Ganz leicht berührte er mit der Spitze seines kleinen Fingers sein Augenlid. "Das Sehen, das wahre Sehen, das ist der Kern." (139)

    Die Karstarks kamen an einem kalten, windigen Morgen, brachten dreihundert Reiter und fast zweitausend Mann Fußvolk von ihrer Burg auf Karholt mit. Die stählernden Spitzen ihrer Spieße blitzten im fahlen Sonnenlicht, als die Armee sich näherte. Ein Mann ging ihnen voraus, schlug einen tiefen, langsamen Rhythmus auf einer Trommel, die größer als er selbst war, bumm, bumm, bumm.
    Bran sah sie von einem Wachturm oben auf der äußeren Mauer heranmarschieren, spähte durch Maester Luwins bronzenes Linsenrohr, während er auf Hodors Schultern saß. Lord Rickard persönlich führte sie an, seine Söhne Harrion undEddard und Torrhen ritten neben ihm unter nachtschwarzen Bannern, verziert mit der weißen Sonne ihres Hauses. Die Alte Nan sagte, in ihren Adern flösse das Blut der Starks, seit Hunderten von Jahren schon, doch für Bran sahen sie nicht wie Starks aus. Sie waren große Männer und wild, die Gesichter mit dichten Bärten überzogen, das Haar fiel ihnen offen auf die Schultern. Ihre Umhänge waren aus Leder gefertigt, aus Fellen von Bär und Wolf und Robbe. (191)

    "Wie viele Ritter?"
    "Wenige genug", sagte der Maester mit einem Anflug von Ungeduld. "Um ein Ritter zu sein, muss man seine Bigilien in einer Septe ablegen und mit den sieben Ölen gesalbt sein, um den Eid zu weihen. Im Norden huldigen nur wenige der großen Häuser den Sieben. Der Rest betet zu den alten Göttern und benennt keine Ritter ... aber jene Lords und ihre Söhne und Vasallen sind nicht minder wild oder treu oder ehrenhaft. Der Wert eines Mannes ist nicht an dem "Ser" vor seinem Namen abzulesen. Wie ich es dir schon hundertmal erklärt habe." (193)

    Tywin Lennister, Lord von Casterlystein und Hüter des Westens, war Mitte fünfzig, doch hart wie ein Mann von zwanzig. Selbst im Sitzen war er groß, mit langen Beinen, breiten Schultern und flachem Bauch. Seine dünnen Arme waren muskulös. Als sein einst volles, goldenes Haar seinerzeit zurückwich, hatte er seinem Barbier befohlen, ihm den Schädel zu scheren. Lord Tywin glaubte nicht an halbe Sachen. Er rasierte auch Oberlippe und Kinn, doch behielt er seinen Backenbart, zwei mächtige Dickichte von drahtigem, goldenem Haar, die den Großteil seiner Wangen vom Ohr zum Unterkiefer bedeckten. Seine Augen waren hellgrün mit goldenen Flecken. (248) [...] Lord Tywin Lennister lächelte nicht. Lord Tywin lächelte nie. (255)

    Martin, G. R. R. (2011). Das Lied von Eis und Feuer. Der Thron der Sieben Königreiche. München: blanvalet.

    Brynden Schwarzfisch zog die buschigen Augenbrauen hoch. "Diese Narren! Meine erste Regel im Krieg lautet: Erfülle dem Feind niemals seine Wünsche. Lord Tywin würde es gefallen, den Kampf auf einem Feld auszutragen, das er selbst bestimmt. Er möchte, dass wir nach Harrenhal marschieren." (150)

    "Macht ist etwas sehr Eigenartiges, Mylord. Vielleicht habt Ihr über das Rätsel nachgedacht, welches ich Euch in diesem Gasthaus aufgegeben habe."
    "Es ist mir durchaus ein oder zwei Mal durch den Sinn gegangen", gestand Tyrion ein. "Der König, der Priester, der reiche Mann - wer wird am Leben bleiben, wer sterben? Wem wird der Söldner gehorchen? Die Rätsel haben keine Antwort, oder besser, zu viele Antworten. Es hängt alles von dem Mann mit dem Schwert ab."
    "Und dennoch ist er ein Nichts", erwiderte Varys. "Er besitzt weder Krone noch Gold noch die Gunst der Götter, lediglich ein Stück Stahl mit scharfer Spitze."
    "Dieses Stück Stahl stellt die Macht über Leben und Tod dar."
    "Genau ... nur, wenn es der Krieger ist, der uns in Wahrheit beherrscht, warum geben wir dann vor, unsere Könige würden die Macht besitzen? Warum sollte ein kräftiger Mann mit einem Schwert überhaupt einem Kindkönig wie Joffrey gehorchen oder einem Trunkenbold wie seinem Vater?"
    "Weil diese Kindkönige und Trunkenbolde andere starke Männer herbeirufen können, die ebenfalls mit Schwertern bewaffnet sind."
    "Dann besitzen doch jene anderen Krieger die wahre Macht. Oder etwa nicht? Woher stammen ihre Schwerter? Warum gehorchen sie?" Varys lächelte. "Manche behaupten, Wissen sei Macht. Einige sagen, alle Macht stamme von den Göttern. Andere leiten sie aus den Gesetzen her. Dennoch waren unser den Göttern gefälliger Hoher Septon, unsere rechtmäßige Königin Regentin und Euer ach so wissender Diener an jenem Tag auf den Stufen von Baelors Septe ebenso machtlos wie jeder Schuster und Schneider in der Menge. Wer hat Eddard Stark eigentlich geötet, was meint Ihr? Joffrey, weil er den Befehl gegeben hat? Ser Ilyn Payn, der das Schwert geführt hat? Oder ... jemand ganz anderes?"
    Tyrion legte den Kopf schief. "Wolltet Ihr Euer verfluchtes Rätsel auflösen oder mir Kopfschmerzen bereiten?"
    Varys lächelte. "Also gut. Die Macht wohnt dort, wo die Menschen glauben, dass sie wohnt. Das ist die ganze Antwort."
    "Also ist die Macht nur ein Mummenschanz?"
    "Ein Schatten an der Wand", murmelte Varys, "doch auch Schatten können töten. Und manchmal werfen sehr kleine Männer die größten Schatten." (164)

    "Ihr werdet Euer Gold erhalten, sobald die Schatzkammer von Königsmund uns gehört. Kein Mann in den Sieben Königslanden ist redlicher als Stannis Baratheon. Er wird sein Versprechen halten." Noch während Davos dies aussprach, dachte er: Welche Hoffnung kann man für diese Welt noch hegen, wenn sich Schmuggler von niederer Geburt für die Ehre von Königen verbürgen müssen? (192)

    "[...] Einst gab es eine Zeit, da die Welt in Finsternis gehüllt war. Um die Dunkelheit zu vertreiben, musste der Held die Klinge eines Helden besitzen, oh, eine Klinge, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Und daher mühte sich Azor Ahai dreißig Tage und dreißig Nächte ohne Schlaf im Tempel und schmiedete ein Schwert im heiligen Feuer. Erhitzen und hämmern, erhitzen und hämmern, bis die Waffe vollendet war. Dennoch, als er sie zum Härten ins Wasser tauchte, barst der Stahl.
    Ihm als Held war es nicht möglich, daraufhin mit den Achseln zu zucken und sich solche Weintrauben zu holen wie diese hier, sondern er begann von neuem. Beim zweiten Mal brauchte er fünfzig Tage und fünfzig Nächte, und dieses Schwert war sogar noch edler. Azor Ahai fing einen Löwen, in dessem roten Herzen er die Klinge härten wollte, doch abermals barst der Stahl. Groß war sein Kummer, groß war sein Schmerz, denn nun wusste er, was er zu tun hatte.
    Hundert Tage und hundert Nächte arbeitete er an der dritten Klinge, und während sie weiß glühend im heiligen Feuer ruhte, rief er seine Gemahlin. 'Nissa Nissa', sprach er zu ihr, denn so lautete ihr Name, 'entblöße deine Brust und glaube mir, dass ich dich mehr liebe als alles andere auf der Welt.' Sie folgte seinem Wunsch, aus welchem Grund, vermag ich nicht zu sagen, und Azor Ahai stieß die rauchende Klinge durch ihr lebendiges Herz. Es heißt, ihr gequälter, ekstatischer Schrei habe die Oberfläche des Mondes gespalten, aber ihr Blut und ihre Seele, ihre Kraft und ihr Mut gingen in den Stahl über. Das ist die Geschichte, wie Lichtbringer, das Rote Schwert der Helden, erschaffen wurde. [...]" (194)

    Auf (246) die Geschichte von Ser Jorah Mormonts zweiter Ehe.

    Vor zehn Jahren hatte Jon Arryn Lord Petyr die Zollverwaltung in einem kleinen Lehen übertragen; dort tat dieser sich bald dadurch hervor, dass er die dreifache Summe an Steuern eintrieb als die anderen Steuereintreiber des Königs. König Robert war ein Verschwender gewesen. Ein Mann wie Petyr Bealish, der die Gabe besaß, zwei Golddrachen aneinanderzureiben und damit einen dritten hervorzuzaubern, war für seine Hand von unschätzbarem Wert. Kleinfinger hatte einen pfeilschnellen Aufstieg hinter sich Drei Jahre, nachdem er an den Hof geholt worden war, trug er den Titel Meister der Münze und war Mitglied des Kleinen Rates, und heute waren die Einnahmen der Krone zehn Mal so hoch wie unter seinem überlasteten Vorgänger ... allerdings waren auch die Schulden der Krone enorm gewachsen. Petyr Baelish war ein meisterhafter Jongleur.
    Oh, und gerissen war er. Er sammelte das Gold nicht einfach nur ein und verschloss es hinter den Türen der Schatzkammer, nein. Er bezahlte die Schulden des Hofes mit Schuldscheinen und ließ das Gold des Königs arbeiten. Er erstand Wagen, Läden, Schiffe, Häuser. Er kaufte Getreide, wenn die Ernte reich ausfiel, und verkaufte Brot, wenn Mangel herrschte. Er deckte sich mit Wolle aus dem Norden, Leinen aus dem Süden und Seide aus Lys ein, lagerte sie ein, verschob sie hin und her, ließ sie färben, veräußerte sie. Die Golddrachen vermehrten sich, und Kleinfinger lieh sie aus und holte sie mit Nachwuchs wieder heim.
    Währenddessen brachte er seine eigenen Männer in Position. Alle vier Hüter der Schlüssel waren ihm treu ergeben. Den Zähler und den Wegemeister des Königs hatte er ernannt. Dazu die Amtmänner aller drei Münzstätten. Hafenmeister, Steuereintreiber, Zahlmeister, Weinverwalter; neun von zehn waren Kleinfingers Leute. Im Großen und Ganzen handelte es sich um Männer von mittlerem Rang; Söhne von Kaufleuten, niedere Lords, manchmal sogar um Ausländer, doch maß man sie an den Ergebnissen, waren sie weitaus fähiger als ihre hochgeborenen Vorgänger.
    Keiner hatte je daran gedacht, diese Berufungen in Frage zu stellen, um warum auch? Kleinfinger bedrohte niemanden. Einen klugen, lächelnden, freundlichen Kerl wie ihn, der mit jedem Freundschaft schloss und stets das Gold heranschaffte, das der Lönig oder die Hand brauchten, und der trotzdem von so niederer Geburt war, brauchte man nicht zu fürchten. Er war kaum mehr als ein Heckenritter. Er hatte keine Fahnen, zu denen er rufen konnte, keine Armeen und keine Gefolgsleute, keine große Festung und keine nennenswerten Ländereien, keine Aussichten, eine gute Partie zu machen.
    Aber würde ich mich an ihn heranwagen?, fragte sich Tyrion. (335)

    Ser Boros schob das Visier hoch. "Ser, wo ..."
    "Fickt Euer Ser, Boros. Ihr seid der Ritter, nicht ich. Ich bin der Bluthund des Königs, schon vergessen?"
    [...]
    [Sansa:] "Warum lasst ihr Euch von allen Leuten Hund nennen? Als Ritter darf man Euch dagegen nicht bezeichnen."
    "Hunde mag ich lieber als Ritter. Meines Vaters Vater war ein Hundemeister auf dem Stein. In einem Herbstjahr geriet Lord Tytos zwischen eine Löwin und ihre Beute. Der Löwin war es völlig egal, dass sie das Wappentier der Lennisters war. Das Vieh hat Mylords Pferd zerrissen und hätte sich auch am Lord selbst gütlich getan, doch mein Großvater kam mit den Hunden hinzu. Drei seiner Tiere sind getötet worden, doch die Löwin wurde vertrieben. Mein Großvater hat ein Bein verloren, also entlohnte ihn Lennister dafür mit Land und einem Wehrturm und nahm seinen Sohn als Knappen zu sich. Die drei Hunde auf unserem Wappen sind jene drei, die im gelben Herbstgras den Tod fanden. Ein Bluthund gibt sein Leben für dich, aber er wird niemals lügen. Und er blickt dir immer aufrecht ins Gesicht." (353)

    Plötzlich viel [Bran] etwas ein, das ihm sein Vater einst erzählt hatte. Er hatte Lord Eddard gefragt, ob in der Königsgarde wirklich die besten Ritter der Sieben Königslande versammelt seien. "Heute nicht mehr", hatte Vater geantwortet, "aber einst waren sie der Welt ein leuchtendes, bewundernswertes Vorbild."
    "Und wer war der beste von ihnen allen?"
    "Der größte Ritter, den ich je kennengelernt habe, war Ser Arthur Dayne, der mit einer Klinge namens Dämmerung focht, die aus dem Herzen eines gefallenen Sternes geschmiedet war. Es wurde das Schwert des Morgens genannt, und er hätte damit getötet, wäre nicht Holand Reet gewesen." Dann war Vater traurig geworden und hatte nichts mehr gesagt. Bran wünschte, er hätte gefragt, was er gemeint hatte. (405)

    Martin, G. R. R. (2011). Das Lied von Eis und Feuer. Die Saat des Goldenen Löwen. München: blanvalet.

    "Warg. Leibwechsler. Tierling. So werden sie dich nennen, wenn sie jemals von deinen Wolfsträumen erfahren."
    Die Namen flößtem ihm abermals Furcht ein. "Wer wird mich so nennen?"
    "Dein eigenes Volk. Aus Angst. Manche werden dich hassen, wenn sie wissen, was du bist. Einige werden sogar versuchen, dich zu töten."
    [...]
    "Die Wolfsträume sind keine richtigen Träume. Du hast dein Auge fest geschlossen, solange du wach bist, aber sobald du einschläfst, schlägst du es auf, und deine Seele sucht ihre andere Hälfte. Die Macht ist stark in dir."
    "Ich will sie nicht. Ich will ein Ritter werden."
    "Ein Ritter willst du werden. Ein Warg bist du. Daran kannst du nichts ändern, Bran, du darfst es weder leugnen noch verdrängen. Du bist der geflügelte Wolf, aber du wirst niemals fliegen." Jojen stand auf und ging zum Fenster. "Solange du dein Auge nicht öffnest." Er legte zwei Finger zusammen und stieß Bran heftig gegen die Stirn.
    Als er die Hand auf die Stelle legte, spürte Bran nur glatte, unversehrte Haut. Da war kein Auge, auch kein geschlossenes. "Wie kann ich es öffnen, wenn es nicht da ist."
    "Mit den Händen öffnest du das Auge nie, Bran. Du musst es mit dem Herzen suchen." Jojen musterte Brans Gesicht mit seinen seltsam grünen Augen. "Oder hast du Angst?"
    "Maester Luwin sagt, in Träumen gibt es nichts, das ein Mann fürchten muss."
    "Doch", entgegnete Jojen.
    "Was denn?"
    "Die Vergangenheit. Die Zukunft. Die Wahrheit." (S.104)

    Eines Tages kam in Myr ein Mann zu unserem Mummenschanz. Nach der Vorstellung unterbreitete er meinem Meister ein Angebot, mich zu kaufen, das für diesen zu verlockend war, um es abzulehnen. Ich war entsetzt, weil ich fürchtete, der Mann wolle das mit mir machen, was, wie ich gehört hatte, manche Männer mit kleinen Jungen tun, aber in Wahrheit brauchte er nur eines von mir: meine Männlichkeit. Er verabreichte mir einen Trank, durch den ich weder sprechen noch mich bewegen konnte, der meine Sinne aber trotzdem nicht beeinträchtigte. Mit einer langen, hakenförmigen Klinge schnitt er mir Hoden, Wurzel und Schaft ab. Die ganze Zeit über sang er seltsame Lieder. Ich beobachtete ihn dabei, wie er meine Männlichkeit auf einer Kohlenpfanne verbrannte. Die Flammen wurden blau, und ich hörte eine Stimme, die seinem Ruf antwortete, obwohl ich die Worte nicht verstand, die sie beiden sprachen.
    Als er mit mir fertig war, waren die anderen Mimen längst weitergezogen. Nachdem ich meinen Zweck erfüllt hatte, interessierte sich der Mann nicht mehr für mich und warf mich hinaus. Als ich ihn fragte, was ich tun solle, antwortete er mir, dass ich sterben solle. Um es ihm zu zeigen, entschloss ich mich zu leben. Ich bettelte und stahl. Und ich verkaufte jene Teile meines Körpers, die mir geblieben waren. Bald war ich so gut wie jeder andere Dieb in Myr, und während ich älter wurde, lernte ich, dass der Wert der Briefe im Geldbeutel eines Mannes oftmals den der Münzen bei weitem überstieg.
    Doch noch immer kehrt diese Nacht in meinen Träumen wieder, Mylord. Nicht der Zauberer oder Klinge, nicht einmal der Anblick meiner Männlichkeit, die beim Verbrennen zusammenschrumpfte. Ich träume von der Stimme. Die Stimme aus den Flammen. War das ein Gott, ein Dämon oder nur der Trick eines Beschwörers? Ich kann es euch nicht sagen, und ich kenne alle Tricks. Nur eins kann ich euch sagen, und das ist sicher: Er hat die Stimme gerufen, und sie hat geantwortet, und seit diesem Tag hasse ich Magie und alle, die sie ausüben. (S. 252)

    "Hexenmeister sind verbitterte Kreaturen, die Staub fressen und Schatten trinken. Sie werden euch nichts geben. Sie haben nichts zu geben." (S. 310)

    Viserys, war ihr erster Gedanke, als sie das nächste Mal stehen blieb, auf den zweiten Blick musste sie sich allerdings berichtigen. Der Mann hatte das gleiche Haar wie ihr Bruder, doch war er größer, und seine Augen waren eher dunkel indigofarben denn veilchenblau. "Aegon", sagte er zu einer Frau, die ein Neugeborenes in einem großen Holzbett stillte. "Welcher Name wäre für einen König besser geeignet?"
    "Wirst du ein Lied für ihn verfassen?", fragte die Frau.
    "Er hat schon ein Lied", erwiderte der Mann. "Er ist der Prinz, der verheißen wurde, und sein ist das Lied von Eis und Feuer." Er blickte auf, als er dies sagte, und sein Blick trafs Danys, und es schien, als könnte er sie dort jenseits der Tür stehen sehen. "Es fehlt noch einer", fuhr er fort, und ob er zu ihr sprach oder zu der Frau in dem Bett, vermochte sie nicht zu sagen. "Der Drache hat drei Köpfe." (S.316)

    "Habt ihr keine Angst? Die Götter könnten Euch für all das Böse, das ihr getan habt, in die Hölle verbannen?"
    "Welches Böse?" Er lachte. "Welche Götter?"
    "Die Götter, die uns erschaffen haben."
    "Uns alle?", spottete er. "Sag mir, kleiner Vogel, was für ein Gott erschafft ein Ungeheuer wie den Gnom oder eine Schwachsinnige wie Lady Tandas Tochter? Wenn es Götter gibt, haben sie Schafe gemacht, damit Wölfe sie fressen, und sie haben die Schwachen gemacht, damit die Starken mit ihnen spielen können."
    "Wahre Ritter beschützen die Schwachen."
    Er schnaubte. "Wahre Ritter gibt es nicht, genauso wenig wie Götter. Wenn du dich nicht selbst beschützen kannst, stirb und geh jenen aus dem Weg, die es können. Scharfer Stahl und starke Arme regieren diese Welt, und du solltest nichts anderes glauben."
    Sansa wich vor ihm zurück. "Ihr seid schrecklich."
    "Ich bin lediglich ehrlich. Die Welt ist es, die schrecklich ist. Und jetzt flieg davon, kleiner Vogel, ich bin dein Piepen leid." (S.382)

    Im Krieg, hatte ihm sein Vater einst erklärt, ist die Schlacht vorbei, sobald eine Armee flieht. Gleichgültig wie zahlreich, gut gerüstet und bewaffnet sie dastand, suchte sie einmal das Heil in der Flucht, würde sie nicht mehr umkehren und sich erneut dem Kampf stellen. (S.409)

    "Du kleine Närrin. Tränen sind nicht die einzige Waffe einer Frau. Du hast noch eine zwischen deinen Beinen, und du solltest besser lernen, sie zu benutzen. Männer benutzen ihre Schwerter schließlich auch gern und häufig. Beide Arten von Schwertern." (S.489)

    Der Rausch der Schlacht. Er hätte nie geglaubt, ihn jemals selbst zu erleben, doch Jaime hatte ihm oft genug davon erzählt. Wie die Zeit langsamer zu werden und gar stillzustehen schien, wie Vergangenheit und Zukunft verschwanden, bis nur der Augenblick vorhanden war, wie sich die Furcht verflüchtigte und ebenso der Verstand und sogar der Körper. "Du spürst deine Wunden nicht mehr, nicht mehr den Schmerz im Rücken von dem Gewicht der Rüstung, nicht mehr den Schweiß, der dir in die Augen rinnt. Du fühlst gar nichts mehr, du bist nicht mehr du selbst, es gibt nur noch den Kampf, den Feind, diesen Mann und dann den nächsten und den nächsten und den nächsten, und du weißt, sie haben Angst und sind erschöpft, aber du nichts, du lebst, und der Tod ist um dich herum, aber ihre Schwerter bewegen sich zu langsam, du kannst lachend durch sie hindurchtanzen." (S.499)

    Plötzlich meinte sie, ganz leise, die Stimme ihres Vaters zu hören. "Wenn der Schnee fällt und der weiße Wind bläst, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt", sagte er. (S.551)

    Martin, G. R. R. (2011). Das Lied von Eis und Feuer. Sturm der Schwerter. München: blanvalet.

    Robb Stark richtet Rickard Karstark im Regen hin. (S.386)

    "Als ich nach Winterfell kam, hat es mich stets verletzt, wenn Ned in den Götterhain ging und sich unter seinen Herzbaum setzte. Ein Teil seiner Seele steckte in diesem Baum, das wusste ich, ein Teil, den er nie mit mir teilen würde. Trotzdem, so erkannte ich bald, wäre er ohne diesen Teil niemanls Ned gewesen. Jeyne, Kind, Ihr habt den Norden geheiratet, genau wie ich ... Und im Norden naht der Winter." (S.390)

    Sie ist stärker als ich. Bei dieser Erkenntnis lief ihm ein Schauer über den Rücken. Robert war stärker gewesen als er, ganz gewiss sogar. Der Weiße Bulle Gerold Hohenturm ebenfalls, jedenfalls in seiner Blütezeit, und auch Ser Arthur Dayn. Unter den Lebenden war Großjon Umber stärker, der Starke Eber von Rallenhall vermutlich ebenso, beide Cleganes ganz bestimmt. Die Kraft des Berges hatte nichts Menschliches mehr an sich. Dennoch war das im Prinzip gleichgültig. Mit Schnelligkeit und Geschicklichkeit vermochte Jaime sie alle zu schlagen. Aber dies hier war eine Frau. (S.399)

    "Prinz Bran hat die Geschichte bestimmt schon hundertmal gehört."
    "Nein", entgegnete Bran, "habe ich nicht. Und selbst wenn, das macht nichts. Manchmal hat die Alte Nan uns auch eine Geschichte zum zweiten Mal erzählt, aber uns hat das nicht gestört, wenn es nur eine gute Geschichte war. Alte Geschichten sind wie alte Freunde, hat sie immer gesagt. Von Zeit zu Zeit muss man sie besuchen." (S.462)

    "Ihr habt nie gefürchtet, Königen gegenüber die Wahrheit auszusprechen, warum also belügt ihr euch selbst? Öffnet die Augen, Ser Ritter."
    "Was wollt ihr mich denn sehen machen?"
    "Die Art, wie die Welt beschaffen ist. Die Wahrheit ist überall um Euch herum und leicht zu erkennen. Die Nacht ist finster und voller Schrecken, der Tag hell und wunderschön und voller Hoffnung. Eines ist schwarz, das andere weiß. Es gibt Eis und es gibt Feuer. Hass und Liebe. Bitter und Süß. Mann und Frau. Schmerz und Vergnügen. Winter und Sommer. Böse und Gut." Sie trat einen Schritt auf ihn zu. "Tod und Leben. Überall Gegensätze. Überall der Krieg."
    "Der Krieg?", fragte Davos.
    "Der Krieg", bestätigte sie. "Es gibt zwei, Zwiebelritter. Nicht sieben, nicht einen, nicht hundert oder tausend. Zwei! Glaubt ihr wirklich, ich wäre durch die halbe Welt gereist, um einem weiteren eitlen König auf einen weiteren leeren Thron zu hieven? Dieser Krieg wütet seit Anbeginn der Zeit, und ehe er vorrüber ist, müssen alle Menschen wählen, auf welcher Seite sie stehen. Auf der einen befindet sich R'hllor, der Herr des Lichts, das Herz des Feuers, der Gott von Flamme und Schatten. Ihm gegenüber steht der Große Andere, dessen Name nicht ausgesprochen werden darf, der Herr der Finsternis, die Seele des Eises, der Gott von Nacht und Schrecken. Für uns zählt nicht die Entscheidung zwischen Baratheon und Lennister, zwischen Graufreud und Stark. Wir wählen entweder den Tod oder das Leben." (S.476)

    "[...] In der Prophezeiung steht es ebenfalls. Wenn der Rote Stern blutet und sich die Dunkelheit sammelt, soll Azor Ahai inmitten von Rauch und Salz wiedergeboren werden, um die Drachen aus dem Stein zu wecken. Der blutende Stern ist gekommen und gegangen, und Drachenstein ist der Ort des Rauches und des Salzes. Stannis Baratheon ist der wiedergeborene Azor Ahai!" (S.477)

    "Du musst. Musst ihnen Bericht erstatten."
    "Bericht erstatten, Mylord? Worüber?", fragte Sam höflich.
    "Alles. Die Faust. Die Wildlinge, Drachenglas. Dies. Alles. Sein Atem ging inzwischen sehr flach, seine Stimme war nurnoch ein Flüstern. "Berichte meinem Sohn davon. Jorah. Sag ihm, er soll das Schwarz anlegen. Mein Wunsch. Letzter Wunsch."
    "Wunsch?" Der Rabe neigte den Kopf, seine schwarzen Knopfaugen glänzten. "Korn?", fragte er.
    "Kein Korn", antwortete Mormont schwach. "Sag es Jorah. Vergebe ihm. Meinem Sohne. Bitte. Geh."

    Wie Robert Baratheon seine Feinde nutzte: "Mein Bruder hatte die Gabe, Loyalität zu wecken. Sogar bei seinen Feinden. Bei Sommerhall gewann er drei Schlachten an einem einzigen Tag, und er hat die Lords Grandison und Cafferen als Gefangene nach Sturmkap zurückgebracht. Ihre Banner hat er sich als Trophäen in die Halle gehängt. Cafferens weiße Kitze waren mit Blut bespritzt, und Grandisons schlafender Löwe war beinahe in zwei Teile gerissen. Dennoch saßen sie abends unter diesen Bannern und tranken und aßen mit Robert. Er ist sogar mit ihnen auf die Jagd gegangen. 'Diese Männer wollten dich an Aerys ausliefern, damit er dich verbrennt', sagte ich zu ihm, nachdem ich gesehen hatte, wie sie ihm Hof Äxte warfen. 'Du solltest ihnen keine Äxte in die Hand geben.' Robert hat nur gelacht. Ich hätte Grandison und Cafferen in den Kerker geworfen, er dagegen hat sie zu seinen Freunden gemacht. Lord Cafferen ist bei Burh Aschfurt gefallen, wo er von Randyll Tarly erschlagen wurde, während er für Robert kämpfte. Lord Grandison wurde am Trident verwundet und ist der Wunde ein Jahr später erlegen. Mein Bruder hatte sie dazu gebracht, ihn zu lieben [...]. (S. 669)

    Ser Barristan hat mir einmal erzählt, der Verfall von König Aerys' Herrschaft habe mit Varys angefangen. Der Eunuch hätte niemals begnadigt werden dürfen. Und der Königsmörder ebenfalls nicht. Zumindest hätte Robert Jaime den weißen Mantel fortnehmen und ihn zur Mauer schicken sollen, wozu Lord Stark ihn gedrängt hat. (S.674)

    Lord Tywin sprach selten von seiner Gemahlin, doch Tyrion hatte die Erzählungen seiner Onkel über ihre Liebe gehört. In jenen Tagen war sein Vater die Hand von Aerys gewesen, und viele Zungen behaupteten, Lord Tywin Lennister regiere zwar die Sieben Königslande, Lady Joanna jedoch beherrsche Lord Tywin. "Nach ihrem Tod war er nicht mehr derselbe, Gnom", hatte sein Onkel Gery ihm einst erklärt. "Mit ihr ist der beste Teil von ihm gestorben." (S.712)

    Martin, G. R. R. (2012). Das Lied von Eis und Feuer. Die Königin der Drachen. München: blanvalet.

    "[...] Ihr nennt uns Diebe, aber ein Dieb muss immerhin mutig und klug und schnell sein. Einer, der kniet, braucht bloß zu knien." (44)

    "Prinz Rheagars Tapferkeit steht außer Zweifel, doch den Tunierplatz betrat er selten. Er liebte das Lied der Schwerter nicht so sehr wie zum Beispiel Robert Baratheon oder Jaime Lennister. Für ihn war es lediglich eine Pflicht, eine Aufgabe, die die Welt ihm auferlegte. Er erfüllte sie gut, denn er machte alles gut. So war er nun einmal. Freude fand er daran nicht. Die Männer sagten, er liebe seine Harfe mehr als seine Lanze."
    "Aber er hat doch sicher trotzdem ein paar Turniere gewonnen?", fragte Dany enttäuscht.
    "In seiner Jugend ritt Seine Gnaden brillant in einem Turnier in Sturmkap, wo er Lord Steffon Baratheon, Lord Jason Mallister, die rote Viper von Dorne und einen geheimnisvollen Ritter besiegte, der sich als der berüchtigte Simon Toyn entpuppte, der Kopf der Geächteten aus dem Königswald. Zwölf Lanzen brach er an diesem Tag gegen Ser Arthur Dayn."
    "Und wurder er Sieger?"
    "Nein, Euer Gnaden. Diese Ehre wurde einem anderen Ritter aus der Königsgarde zuteil, der Prinz Rhaegar beim letzten Tjost aus dem Satten stieß."
    [...] "Welche Turniere hat mein Bruder gewonnen?"
    "Euer Gnaden." Der alte Mann zögerte. "Er gewann das größte Turnier überhaupt."
    "Und das wäre?", wollte Dany wissen.
    "Das Turnier, das Lord Whent in Harrenhal am Götterauge ausrichtete, im Jahr des Falschen Frühlings. [...] Die größten Lords und mächtigsten Recken der Sieben Königslande trafen bei diesem Turnier aufeinander, und der Prinz von Drachenstein besiegte sie alle."
    "Aber das war das Turnier, in dem er Lyanna Stark zur Königin der Schönheit krönte!", sagte Dany. (81)

    Die Schwermut von Prinz Rhaegar. (82)

    "Woher weißt du von Jon?"
    "Er ist mein Milchbruder."
    "Bruder?" Arya begriff nicht. "Du bist doch aus Dorne. Wie können du und Jon Geschwister sein?"
    "Milch brüder. Keine Geschwister. Meine Hohe Mutter hatte keine Milch, als ich klein war, daher hat Wylla mich gestillt."
    Arya verstand nicht recht. "Wer ist Wylla?"
    "Jon Schnees Mutter. Hat er dir das nie erzählt? Sie hat uns viele viele Jahre gedient. Schon bevor ich geboren wurde." [...] "Wylla war meine Amme", wiederholte er feierlich. "Ich schwöre es bei der Ehre meines Hauses."
    "Du gehörst zu einem Haus?" Das war eine dumme Frage, er war Knappe, natürlich gehörte er zu einem Haus. "Wer bist du?"
    "Mylady?" Ned wirkte verlegen, und vielleicht benutzte er deshalb plötzlich die höfliche Anrede. "Ich bin Edric Dayn, der ... der Lord von Sternfall."
    [...]
    "Es gab mal einen Arthur Dayn", erinnerte sie sich, "den sie das Schwert des Morgens nannten."
    "Mein Vater war Ser Arthurs älterer Bruder. Lady Ashara war meine Tante. Allerdings habe ich sie nie kennen gelernt. Sie hat sich vom Bleichstein-Schwert ins Meer gestürzt, bevor ich geboren wurde."
    "Warum hat sie das getan?", erkundigte sich Arya entsetzt.
    Ned schaute sie argwöhnisch an. Vielleicht hatte er Angst, sie würde auch ihm einen Holzapfel an den Kopf werfen. "Euer Hoher Vater hat nie von ihr gesprochen?", fragte er- "Von Lady Ashara Dayn von Sternfall?"
    "Nein. Hat er sie gekannt?"
    "Bevor Robert König wurde. Sie hat Euren Vater und seine Brüder in Harrenhal kennengelernt, im Jahr des Falschen Frühlings.
    "Aha." Arya wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. "Warum hat sie sich ins Meer gestürzt?"
    "Weil ihr Herz gebrochen war."
    "Wer hat es ihr denn gebrochen?"
    Er zögerte. "Vielleicht bin ich nicht der Richtige, um ..."
    "Erzähl schon!"
    Er blickte sie voller Unbehagen an. "Meine Tante Allyria sagt, Lady Ashara und Euer Vater hätten sich in Harrenhal ineinander verliebt ..." (95)

    Die rote Hochzeit. (230)

    "Joffrey, wenn Eure Feinde Euch Trotz bieten, müsst Ihr ihnen mit Stahl und Feuer antworten. Doch wenn sie vor Euch niederknien, müsst Ihr ihnen wieder auf die Beine helfen. Sonst wird niemand mehr das Knie vor Euch beugen. Und jeder Mann, der laut sagen muss, 'Ich bin der König', ist eigentlich kein richtiger König." (248)

    (407) Das Leben ist kein Lied. Kleinfinger entführt Sansa aus Königsmund. Und gibt ihr Nachhilfe im Game of Thrones:

    "Man soll den Feind stets verwirren. Wenn der Widersacher nicht sicher sein kann, wer man ist und was man will, kann er nicht voraussehen, was man als Nächstes tun wird. Manchmal verblüfft man ihn am besten damit, dass man etwas Sinnloses tut oder gar etwas, das gegen einen selbst gerichtet zu sein scheint. Vergesst das nicht, Sansa, wenn Ihr anfangt, das Spiel zu spielen."
    "Welches ... welches Spiel?"
    "Das einzige Spiel, das etwas zu bedeuten hat. Das Spiel der Throne." (409)

    Das Leben von Ser Barristan Selmy. (504)

    "Ihr müsst Euren Vater schrecklich vermissen. Lord Eddard war ein tapferer Mann, ehrlich und treu ... aber ein ganz und gar hoffnungsloser Spieler. [...] In Königsmund gibt es nur zwei Arten von Leuten. Die Spieler und die Spielsteine."
    "Und ich war ein Spielstein?" Sie fürchtete die Antwort.
    "Ja, aber macht Euch deswegen keine Sorgen. Ihr seid fast noch ein Kind. Eigentlich ist jeder Mann am Anfang ein Spielstein und jedes Mädchen auch. Sogar manch einer von denen, die sich für Spieler halten. [...] Jeder will irgendetwas im Leben, Alayne. Und wenn man weiß, was ein Mann will, weiß man, wer er ist und wie man ihn bewegen kann."
    [...]
    "Sag mir, Alayne, was ist gefährlicher, der Dolch, den ein Feind zieht, oder der, den dir jemand in den Rücken drückt und den du überhaupt nicht gesehen hast?"
    "Der versteckte Dolch."
    "Kluges Mädchen." (528)

    Der Drache hat drei Köpfe. Es gibt zwei Männer in der Welt, denen ich vertrauen kann, wenn ich sie finde. Dann werde ich nicht mehr alleine sein. Wir werden zu dritt gegen die Welt stehen wie Aegon und seine Schwestern. (588)

    "[...] Es geht nicht darum, wann man stirbt, Jon Schnee, sondern darum, wie man stirbt." (634)

    "[...] Und wenn ich meine Hand nicht hätte, wäre ich vielleicht überhaupt nicht gekommen. Lord Seewert ist ein Mann von bescheidener Geburt, aber er hat mich an meine Pflichten erinnert, als meine Gedanken nur noch meinen Rechten galten. Ich hätte das Pferd von hinten aufgezäumt, sagte Davos. Ich würde versuchen, den Thron zu erobern, um das Königreich zu retten, dabei sollte ich lieber versuchen, das Königreich zu retten, um den Thron zu erobern." (688)

    Jon Schnee sucht Solitude vor der Mauer, um eine große Entscheidung zu fällen. (732)

  • Georges Simenons Maigret

    In diesem Eintrag sammle ich die Einträge zu den Maigret-Krimis, die ich als Zeitvertreib lese. Jedes dieser schmalen Büchlein ist eine kleine Demonstration von patriachalischer Männlichkeit, ein stereotypes Lehrstück der Psychologie - oder einfach leichte Unterhaltung für einen Sonntag auf dem Sofa. Simenon war ein Sexist, durch und durch. Und ein begabter Romancier, so viel steht fest. Er benutzt wenig Worte, doch die Szenerien und Stimmungen lassen mich nicht los. Ich bin Anfang 2020 auf Maigret gestoßen, nachdem ich zwei äußerst eindrückliche Romane von Simenon gelesen hatte. Pro Buch umreiße ich die Handlung kurz, um einen Überblick zu bieten.

    Maigret und Piotr der Lette

    Der erste Maigret. Dem Kriminalkommisar wird von Interpol der Kopf einer europaweit agierenden Betrügerbande angekündigt. Die genaue Beschreibung des Kriminellen trifft jedoch auf zwei Männer zu: Einen Gentleman, der in einem renomierten Hotel unter Maigrets Augen seinen nächsten Coup ausführt - und einem Toten in der Zugtoilette.

    Maigret amüsiert sich

    Eigentlich hat Maigret Urlaub. Eigentlich. Verkrampft versucht er sich zu entspannen, während er den aktuellen Fall in der Zeitung verfolgt und seine Frau durch halb Paris schleppt, um sich auf den langen Spaziergängen abzureagieren. Am Ende hat Madame Maigret wunde Füße und Maigrets Urlaub ist endlich vorbei.

    Maigret und der Treidler der Providence

    Am dreckigen Kanal wird die Leiche einer gut gekleideten Frau gefunden. Sie zu erwürgen bedrufte einer kräftigen Hand. Ihr Ehegatte, ein Mann mit großen Händen, und seine Crew verhalten sich merkwürdig, als sie von ihrem Tod erfahren. Und der Treidler der Providence ist ebenfalls ein Mann von mächtiger Statur...

    Maigret und das Verbrechen in Holland

    Erneut finden wir ein Setting am Kanal vor - diesmal in Holland. Ein allseits beliebter Mann wurde aus dem Fenster seines eigenen Hauses heraus erschossen. Auch ohne die Landessprache zu verstehen wühlt sich Maigret durch ein Wirrwarr von Motiven und Beziehungen. Hier zeigt er seine psychologische Begabung.

    Maigret am Treffen der Neufundländer

    Der Kapitän ertrinkt kurz nach der Landung im Hafenbecken. Sein großes Schiff kehrte nach 3 Monaten auf See mit einem verdorbenen Fang zurück. Die Mannschaft spricht von einer unheilvollen Fahrt. Der Funker steht unter Verdacht. So richtig will sich aber keiner zu den Vorfällen während der Fahrt äußern. Maigret wird von einem Bekannten gebeten, sich in den Fall einzumischen - und verbringt kurzerhand seine Ferien am Ort des Verbrechens. Madame Maigret ist also auch dabei. Bisher mein Lieblings-Maigret.

  • Van Hout, M. (2012). Heute bin ich. Zürich: aracari.

    Fische weinen nicht. Gewöhnlich werden sie als ausdrucks- und emotionslos wahrgenommen und literarisch auch so dargestellt. Nicht einmal der wütende Moby Dick ist eine Ausnahme - Wale sind schließlich Säuger. Einen übel gelaunten Fisch, oder gar einen ängstlichen, können wir uns recht schwer ausmalen. Illustriert funktioniert das in Heute bin ich erstaunlich gut.

    Mies van Hout hat mit _ Heute bin ich_ ein Kinderbuch gestaltet, in dem Fische unterschiedliche Emotionen zeigen. Seine bunten Pastellkreidestriche auf dunklen Untergründen wirken zunächst schlicht. Die transportierten Aussagen der Bilder sind dann aber überraschend stark. Einer Emotion ist immer eine Doppelseite gewidmet. Auf der einen Seite finden wir eine Emotion auf farbigen Untergrund geschrieben; auf der anderen Seite einen Fisch auf dunklem Grund, der diese Emotion verkörpert.

    Heute bin ich ist ein nettes Kinderbuch - aus der künstlerischen wie aus der aufklärerischen Perspektive. Ich stelle mir Heute bin ich gut als Lehrbuch für Kinder vor. Es stellt eine passende bildlich-symbolische Ergänzung zu Gefühle in Balance von Nunge & Mortera dar.(1) Abgesehen vom psychoedukatorischen Kontext ist aus künstlerischer Perspektive faszinierend, wie treffend Van Hout die Darstellung von Emotionen auf Fischgesichtern gelungen ist.

    Und der Haifisch der hat Tränen
    Und die laufen vom Gesicht
    Doch der Haifisch lebt im Wasser
    So die Tränen sieht man nicht (2)



    1. Nunge, O. & Mortera, S. (2016). Gefühle in Balance. München: Scorpio. Dieses Buch empfehle ich gerne zum Thema Emotionen. Kurz, praktisch, informativ. ↩︎

    2. Haifisch von Rammstein ↩︎

  • Update 2021
    Ich werde dieses Jahr versuchen, keine neuen Bücher zu kaufen. Das ist Teil meines Projektes, weniger nach dem Lustprinzip zu konsumieren. In den meisten Bereichen meines Lebenswandels gelingt mir, meinen Konsum zu begrenzen. Bücher sind eine Ausnahme: Ich liebe Bücher und ich liebe es, sie zu besitzen. Mit meiner Leidenschaft für das Sammeln von Büchern bin ich im Reinen, weil ich Lesen den höchsten Wert zuschreibe. Doch: Mit der Zeit haben sich einige Bücher angehäuft, die mich zwar interessieren, die ich aber noch nicht gelesen habe. Das gilt für meine Bibliothek, die meiner Freundin und die meines Bruders. Ich habe eine Liste der betreffenden Bücher angelegt und ... nun ja, es sollte wohl mindestens für ein Jahr reichen. :trollface:

    Darunter sind unter anderem Geothes Stella, einiges über Caspar David Friedrich, In Praise of Shadows, 7-8 antiquarisch erstandene Maigrets, alle Bände des Lieds von Eis und Feuer von meinem Bruder, das Graphic Novel Watchmen, was von Franz Kafka, Kunderas Die unterträgliche Leichtigkeit des Seins, Jack Londons Seewolf und Sacle von Geoffrey West.

    Es wird mir schwer fallen, die neuen Bücher von Cal Newport (A World Without Email), Jordan Peterson (Beyond Chaos) und Jocko Willink (Final Spin) nicht zu kaufen. Aber selbst wenn ... es wären 3 statt 30.

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